Herr D. auf der Grünen Woche
Seitenblick
Von Hans W. Korfmann
Eigentlich hatte Herr D. aufs Eis gewollt. Aber dann kam der Ostwind, und im Café am See hatten sich sämtliche Rentner Berlins eingefunden und standen in langen Warteschlangen um Tische an, als handele es sich um die Zeiten vor dem Mauerfall und hinter der Mauer - von Westen aus gesehen. Herr D. schlug den Heimweg ein, da kamen ihm diese mit Tüten und Taschen bepackten Menschen entgegen. Auswanderer, dachte Herr D. Doch auf den Tüten stand: Grüne Woche. Und am Eingang stand: Heute nur 6 Euro. Und warm würde es da auch sein.
Drinnen sah Herr D. noch mehr Menschen mit Taschen. Es waren Schnäppchenjäger, die sich ausrechneten, dass man beim ermäßigten Eintritt am letzten Tag der größten Fressmesse der Welt bei gutem Einkauf die Differenz zwischen ALG 1 und ALG 2 gleich für zwei Monate wieder drin hatte. Deshalb standen an den reich gedeckten Tischen die Armen und bestaunten die Auslagen mit dem Erlesensten und Raffiniertesten, das die Kunst der Nahrungsaufnahme des Homo sapiens hervorgebracht hatte. Sogar aus Thailand, China, Albanien, Kamerun und dem fernen Nepal waren sie angereist mit farbenprächtigem Gemüse und glänzendem Obst - frisch aus den Paradiesen der Dritten Welt. Exotische Meeresfrüchte, rosiges Fleisch, Berge von Würsten und Backwaren wie aus dem Bilderbuch: die Welt ein einziges Schlaraffenland.
Dass die Vögel nicht knusprig gebraten über den Köpfen der Brandenburger kreisten, lag nur daran, dass viele von ihnen der Grippe wegen lieber zu Hause geblieben waren. Auch die andern Tiere sahen irgendwie ungesund aus. In den frisch geschreinerten Holzgattern, die jedem Tiroler Alpenhof zur Zierde gereichen würden, standen verwirrt von so viel Sauberkeit Rinder und Schweine. Wahrscheinlich forderten die unzähligen Fototermine und die schlaflosen Nächte ihren Tribut.
"Sie kommen aber nach mir dran!", fuhr eine Frau am Würstchenstand Herrn D. an, der sich neben sie gestellt und nicht angereiht hatte. Herr D. hatte nämlich trotz all der Appetitlosigkeit anregenden Auslagen Hunger bekommen. "Sie glauben wohl, Sie wären noch im Westen", fuhr sie fort. Dann ließ sie sich drei Kilo von den "superbilligen" Krakauer einpacken. "I moach Ihna natürli noch oan Sonderpreis!", lächelte der Wurstverkäufer. Und am Ende lächelte auch die Wurstkäuferin Herrn D. zu: "So, und jetzt sind Sie dran!"
Wenn es etwas gibt, das die Deutschen eint, dann sind es die Würstchen, dachte Herr D. Seien es nun Thüringer oder Krakauer, Nürnberger oder Frankfurter. 1500 verschiedene Sorte, so priesen schon die Veranstalter der Grünen Woche, stünden zur Auswahl. "Wie viele sollen's bei Ihnen sein?", grinste der Wurstverkäufer. "Äh", sagte Herr D.
Frankfurter Rundschau - 2006
© Hans W. Korfmann
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