Herr D. beim Biathlon
Seitenblick
Von Hans W. Korfmann
Herr D. traute seinen Augen nicht. Obwohl er wusste, dass er nur das Zweite sah. Aber im ZDF-Olympiastudio schossen keine leidgeprüften Fußballer oder Fußballtrainer Bälle durch Löcher im Papptor, oder eben daneben, sondern da standen jetzt Sportler mit Gewehren und schossen auf Zielscheiben. Und bei jedem Treffer ertönten aus dem Off frenetische Schreie vom Band. Der Moderator sprach vom "Biathlonspiel", und die "Expertin" erklärte: "Nur nicht zu lange zögern. Dann geht's daneben. Man muss die Luft anhalten und Schuss." Was für'n Stuss, dachte Herr D., und blieb auf Sendung.
Und schon sah er die ersten Bilder der dürren Skiläufer mit den Gewehren auf den Rücken. Ausgerechnet auf diesen Gestalten lasteten also die deutschen Medaillenhoffnungen. Tatsächlich schrie der Kommentator schon bei Kilometer 5 so laut, dass Herr D. den Sender wechselte. Allerdings schrie man auch auf Eurosport ständig diesen Namen, "Ricco Groß ist vorne, Ricco Groß auf Goldkurs", aber auch Michael Greis "ist noch nicht gestorben, er ist noch unter den Lebenden..."
Ricco Groß traf "ins Schwarze. Fabelhaft, wie unsere Athleten schießen: das Magazin einführen, anlegen, durchziehen, das sind automatisierte Vorgänge bei unseren Athleten, das machen die im Schlaf. Und laufen können sie auch..." Herr D. drückte auf einen kleinen Knopf, und der Kommentator war still.
Als Herr D. ein paar Tage später wieder einschaltete, liefen sie noch immer, die deutschen Medaillenhoffnungen. Aber dieses Mal waren es Frauen, diesmal war Kati Wilhelm auf Goldkurs, und jedes Mal, wenn sie am Schießstand traf, jubelte die deutsche Fangemeinde und schwang die Fahnen. Der Kommentator erzählte zur Abwechslung etwas aus dem Leben der Sportlerinnen, sprach von den Athleten aus der ehemaligen DDR, aber dass wir ja jetzt "ein einig Vaterland" seien, und dass wir "dank der bravourösen Schießleistung von Kati Wilhelm" siegen werden. Siegen.
Komisch, dachte Herr D., dass die nicht merken, wie altmodisch sich das alles anhört. Vielleicht wären sie sorgsamer in der Wortwahl, wenn diese Spiele in einem deutschen Tal stattfände, dachte Herr D. Vielleicht würde es den Schreihälsen vor den Mikrophonen die Sprache verschlagen, wenn das deutsche Volk bei jedem Treffer der deutschen Schießmeister so laut grölen würde, dass es durch den ganzen deutschen Wald schallt. Vielleicht würden sie sich dann doch einmal daran erinnern, dass es Adolf Hitler war, der 1936 in Garmisch-Partenkirchen den "Militärpatrouillenlauf" ins Leben rief, der heute Biathlon heißt.
Doch der Kommentator sagte: "Jetzt kommt auch noch die Sonne heraus. Die Sonne kommt und strahlt über Kati Wilhelm". Herr D. drückte den kleinen Knopf.
Frankfurter Rundschau - 2006
© Hans W. Korfmann
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