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Herr D. und die Arbeitsvermittlung

Seitenblick

Von Hans W. Korfmann

Eigentlich war die Zeit der vielen Partys für Herrn D. vorbei. Aber hin und wieder ging er dann doch. So traf er kürzlich seine alte Nachbarin wieder. Er erinnerte sich gut an Anna Rauschenbach, sie war ihm sympathisch gewesen, nur viel zu jung für so einen alten Hasen wie Herrn D. Deshalb fügte er sich ohne viel Bedauern in die Rolle des "netten alten Herren", wie sie einmal im Gehen gescherzt hatte.

Besonders ihre Fröhlichkeit gefiel ihm. Dieser unerschütterliche Optimismus, der sich auch darin zeigte, dass sie zwei Jahre lang beinahe an jedem Wochenende zu ihm hinauf kam, um ihre Bewerbungen auszudrucken. Weil ihr Drucker nie funktionierte und sie nie genügend Geld hatte, sich einen neuen zu kaufen. Sie machte das überaus professionell, und Herr D. verstand nicht, weshalb sie nie einen Job bekam. Dennoch traf er seine Nachbarin nie bei schlechter Laune an, sie hatte immer ein Lächeln auf den Lippen.

Doch jetzt saß Anna Rauschenbach unbeteiligt auf einem Stuhl am Tisch in der Küche, wo sich die Gäste Brote schmierten und Biere holten. Herr D. erschrak, lief gleich zu ihr hinüber und nahm väterlich ihre Hand: "Frau Nachbarin, was ist passiert?" Sie lächelte herzerweichend, und Herr D. fragte sich, ob er nicht doch etwas zu früh in die Liga der "netten alten Herren" gewechselt war. "Haben Sie immer noch keinen Job?", fragte er. "Doch doch", nickte Rauschenbach, "einen Job schon. Aber den unsinnigsten der Welt!" "Ist er wenigstens gut bezahlt?", fragte Herr D. und fürchtete schon, sie würde gleich von einem Euro sprechen. Aber Rauschenbach schüttelte nicht den Kopf. "Doch, gut bezahlt ist er auch. Ich arbeite bei der Job-Vermittlung. Beim Arbeitsamt sozusagen. Schon seit zwei Jahren."

"Und wie viele Jobs hast Du schon vermittelt?" Da fing sie an zu erzählen, dass sie seit vier Monaten nicht einen einzigen Job vermittelt hatte, dass die Jobs entweder so schlecht bezahlt waren, dass sie keiner wollte, oder dass sie längst schon vergeben waren und nur deshalb bei ihr auf den Schreibtisch landeten, weil sie offiziell ausgeschrieben werden mussten.

"Von all den gut bezahlten, qualifizierten Jobs habe ich in zwei Jahren nicht einen einzigen vermittelt. Diese Stellen gab es nämlich schon längst nicht mehr. Ich muss sie aber trotzdem bearbeiten, ich muss den Leuten gegenübersitzen und ihnen einen Job anbieten, der schon längst vergeben ist. Und Sie wissen doch noch, wie oft ich bei Ihnen war und Bewerbungen geschrieben habe! Und dann bekommen Sie eines Tages mit, dass das alles umsonst war, dass das nie einer gelesen hat! Dass Sie regelrecht betrogen wurden und dass das alles eine Farce ist..."

Sie lächelte noch ein bisschen, seine gute Nachbarin, aber dieser strahlende Optimismus, der hatte sich aus ihrem Gesicht gestohlen.

Frankfurter Rundschau - 2006
© Hans W. Korfmann

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