Die Spiele sind eröffnet
Freude schöner Götterfunken: Herr D. lernt die Griechen von ihrer besten Seite kennen
Von Hans W. Korfmann
Berlin Feuilleton
Schon wieder diese Liebich! Herr D. sah, wie sie, ganz in Schwarz und eilenden Schrittes, auf ihn zuflog. "Was machen Sie denn hier? Und noch dazu in dieser Aufmachung?" Herr D. hatte die laue Abendluft dazu nutzen wollen, seinen arbeitslosen Anzug zu lüften und war zu diesem Zweck über den Potsdamer Platz flaniert. "Und wie gut Sie aussehen! Ihr Teint! Waren Sie wieder auf Kreta? Wissen Sie was, Sie kommen mit! Meine Begleitung hat abgesagt." Und schon zog sie ihn an seinem guten Zwirn zum Grand-Hotel.
"Ist was für Sie", murmelte sie. "Griechisch. Mit Sirtaki und Zaziki!" Aber als Herr D. die Sicherheitssperre sah, bremste er ab. "Na, was ist denn?" ärgerte sich die Liebich, "ich bin eingeladen. Von der Paterakis. Aber die hat Kopfschmerzen." Herr D. beobachtete, wie ein jüngerer Mann in Lederjacke der Dame am Eingang seine Einladung reichte, woraufhin plötzlich ein resoluter Herr aus der Abgeschiedenheit der Garderobe hervorstürmte und den Ausweis des Lederjackenträgers verlangte. Herr D. wollte umkehren, aber schon reichte die Liebich mit souveränem Lächeln ihre Karte, und der Garderobier verschwand salutierend wieder auf seinem Platz.
"Jetzt haben Sie sich doch nicht so! Schließlich sind wir vom Auswärtigen Amt!" Herr D. sah zwar nicht ein, was das Auswärtige Amt heute Abend im Hyatt zu suchen hatte, zudem schien der so genannte "kleine Empfang" auch nicht sonderlich klein, sondern eher eine größere Galaveranstaltung zu sein. Das Buffet wartete in pompösen, silbernen, Schüsseln auf drei langen Tafeln, doch noch durch die Deckel verschlossen. Schwarz frackierte Kellner standen mit Ouzogläsern im Saal, der sich langsam füllte. Herr D. wunderte sich, wo die vielen Leute alle hinwollten, so groß war der Raum auch wieder nicht. Aber dann öffnete sich plötzlich die Tür zum großen Festsaal, wo 40 runde Tische mit jeweils zwölf Stühlen auf die geladenen Gäste warteten.
"Wahrscheinlich wegen der Olympiade", flüsterte die Liebich ihm zu, aber der Tischnachbar an ihrer Seite hörte mit. "Ja, früher haben sie ihren Empfang immer woanders gegeben." Immerhin einer, der Deutsch sprach, dachte Herr D. Ihm war aufgefallen, dass er und Fräulein Liebich so ziemlich die einzigen Deutschen unter den 500 Gästen waren. "Ah, Sie sprechen Deutsch", sagte Herr D. über den Busen der Liebich hinweg, um ein wenig Konversation zu betreiben. Der Nachbar schien seinen Gedanken zu erraten: "Wir Griechen feiern uns gern selbst, wissen Sie."
"Ich freue mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind", sprach nun der Mann neben dem Klavier, "um mit uns zu feiern. Sie wissen ja, wir Griechen verstehen zu feiern." Herr D. wunderte sich, dass der Herr angesichts der deutlichen Überzahl der Griechen unbedingt Deutsch sprechen musste. Aber er fuhr fort, in seinem akzentschweren Deutsch von den Olympischen Spielen und den alten Griechen zu erzählen. Zum Schluss seiner kleinen Rede sagte er: "Hiermit eröffne ich das Buffet!"
Und dann folgte doch noch ein griechischer Satz. "Was hat er gesagt?" fragte Herr D. Ein hilfsbereiter Grieche am Tisch antwortete: "Niemand soll sich nicht schämen!"
Die Griechen schämten sich auch nicht. Der halbe Saal stand augenblicklich auf. Auch die Liebich. Am Buffet angekommen, staunte sie. Was da unter den Deckeln dampfte, sah wirklich appetitlich aus. "Was das alles gekostet haben muss", flüsterte sie, "der Saal, das Essen... Rentiert sich das?" - "Das würde ich auch gern wissen. Aber wir haben es ja", antwortete ein dickbäuchiger Grieche, der sich gerade über eine Silberschale beugte. "Ist das nun ein Fischlein oder nicht?" Die großen Stücke erinnerten Herrn D. eher an einen Wal als an eine Sardelle, von "Fischlein" konnte nicht die Rede sein. "Also, wenn das mit der Olympiade auch so klappt", flüsterte Herr D. zur Liebich, doch die Antwort kam von einem schnauzbärtigen Griechen. Die Griechen hatten alle große Ohren: "Da machen Sie sich keine Sorgen, wir verstehen uns in der Kunst der Improvisation." Herr D. hatte bereits den dritten Teller vor sich, da legte ihm jemand die Hand auf die Schulter und sagte: "Es freut mich wirklich sehr, dass Sie Zeit gefunden haben, zu uns zu kommen." Dann hob der Grieche das Glas und stieß mit Herrn D. an. Es sah aus, als seien sie alte Freunde. "Kein Problem", sagte Herr D., "ich hatte nichts Besseres vor." - "Aber nachher müssen wir tanzen", sagte der Fremde und ging, den Nächsten der 500 Gäste zu begrüßen. Und immer sah es aus, als träfe er einen seiner besten Freunde. Lediglich das immer halb volle Weinglas in der Hand verriet, dass alles nur ein Spiel war. "Irgendwie", sagte Herr D., "halten sich die Griechen doch noch immer für die Größten." - "Sie irren, junger Mann", sagte da wieder so ein Nachbar mit großen Ohren, "wir sind die Größten! Prost!"
Frankfurter Rundschau - 2004
© Hans W. Korfmann
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