Ein Besuch in der Datenbank
Beim Handy-Kauf macht Herr D. die Erfahrung, dass man ihn ohne sein Wissen abgespeichert hat
Von Hans W. Korfmann
Berlin Feuilleton
Eigentlich hatte Herr D. sich ja lebenslänglich gegen diese
Taschentelefone wehren wollen. Allein bei dem Gedanken daran,
dass sein Chef ihn jederzeit und an jedem Ort, selbst dem
allerstillsten der Welt, erreichen und mit Arbeit belästigen konnte,
hatte sich Herr D. die spärlich gewordenen Haare raufen können. Und
auch diese Privatgespräche in überfüllten U-Bahnen, in den Cafés
und Restaurants mit ihren ohnehin viel zu eng beieinander stehenden
Tischen, oder diese Blondine, die sich im Zugabteil mit ihrem Lover
unterhielt, als gäbe es Herrn D. auf dem Platz gegenüber gar nicht,
all diese in den öffentlichen Raum verlegten Intimitätsausbrüche der
ansonsten so sterilen Deutschen behagten ihm nicht. Aber eines
Tages kaufte auch Herr D.
Viag Interkom hieß das Unternehmen, das ihn erfolgreich geködert
hatte. Eines Tages aber bezahlte er seine Rechnungen an O2, und als
er das erste Mal in der Werbung diese weibliche Stimme vernahm,
die aus dem simplen Buchstaben "O" ein anglophiles "Äouuu" und aus
der "2" ein "Touuu" formte, interpretierte Herr D., dass der kleine
Fisch Interkom jetzt von einem größeren Fisch geschluckt worden
war. Aus der Presse erfuhr er dann den prosaischen Namen der
englischen Muttergesellschaft, die sich mmO2 nannte, wobei das "O" für Sauerstoff stehe und "ein äußerst aktives Element" sei. Irgendwie
aufgeblasen, dachte Herr D.
Als sein Handy eines Tages von der Seifenablage in die Badewanne
rutschte - es war nach zweieinhalb Jahren so weit mit Herrn D.
gekommen, dass er das Ding sogar freiwillig mit auf die Toilette
nahm -, entschloss er sich augenblicklich zu einer
Vertragsverlängerung, um in den Besitz eines neuen Handys zu
gelangen. Ihm war klar, dass die Firma mit seiner Treue gerechnet
und den Hang des Menschen zur Gewohnheit in ihrer Preispolitik
einkalkuliert hatte. Doch wie genau diese Telefon- und Netzverkäufer
heutzutage rechneten und wie sehr sie alles im Blick hatten, damit
hatte er nicht gerechnet.
Schon als er die kostenlose Servicenummer anrief, wunderte er sich,
dass sich die freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung
seinen Namen gemerkt hatte, obwohl Herr D. dazu neigte, diesen
möglichst schnell hinzunuscheln - wenn er ihn nicht überhaupt
verschwieg. Jedenfalls wollte man dem Herrn D. sein ganz
persönliches Angebot zuschicken, mit einigen neuen Handys zur
freien Auswahl.
Als er wenige Tage später das Schreiben in den Händen hielt,
wunderte er sich, weshalb die vielen bunten Telefone alle ihren Preis
hatten. Er hatte doch gehört, dass man bei Vertragsverlängerung ein
neues erhielte. Nun fand er ein einziges kostenloses Gerät im
Angebot, allerdings ein etwas altmodisches Modell, etwa so groß und
schwer wie diese schwarzen Telefone, die auf den Schreibtischen des
Büros gestanden hatten, als Herr D. vor vierzig Jahren seine
Bürokratenlaufbahn einschlug.
Nun gut, dachte er, machte sich an einem Samstagvormittag auf den
Weg, die papierenen Abbildungen auf der Rückseite seines
persönlichen Angebotsschreibens mit der Realität zu vergleichen. Mit
Erstaunen musste er feststellen, dass die Modelle, für die er fünfzig,
hundert, zweihundert Euro bezahlen sollte, jedem Neueinsteiger für
einen lächerlichen Euro angeboten wurden. Egal, ob er nun bei"Äuooo Touuu" oder sonst wo einstieg. Herr D. rief die kostenlose
Servicenummer an.
Offensichtlich hatte er die gleiche Dame am Apparat wie beim letzten
Gespräch, denn obwohl er diesmal seinen Namen nicht nannte: Sie
kannte ihn. Sie kannte ihn sogar erstaunlich gut. Sie wusste, dass
sein Vertrag schon vor sechs Monaten ausgelaufen war, dass er eines
dieser kleinen Motorolas besessen hatte, dass er einen vergünstigten
Grundtarif erhalten hatte, und vor allem wusste sie, dass er nicht
sonderlich viel telefonierte: "Sie sind nur Stufe zwei. Deshalb sind die
neuen Handys für Sie etwas teurer", sagte die Stimme.
"Äouuu", sagte Herr D., "das darf doch wohl nicht wahr sein. Da
erzählen Sie was von Treueprämie, und dann ist es für mich teurer
als für jeden dahergelaufenen Teeny, der keinen Cent in der Tasche
hat."
"Tut mir Leid, Herr D., kann ich leider nichts machen. Ich kann ihnen
nur einige andere Handys anbieten, da wäre zum Beispiel das
Motorola mit integriertem MP-3-Player oder das Siemens mit
aufsteckbarer Kamera und Farbdisplay oder das..."
"Ich brauche keinen Farbfernseher und keinen integrierten
Staubsauger, ich brauche ein günstiges Telefon." - "Tja, wenn Sie ein
bisschen mehr telefonieren würden, Herr D."
Doch einige Tage später gab sich Herr D. geschlagen. Er rief wieder
an, und noch bevor er Hallo sagen konnte, sprach eine männliche
Stimme: "Guten Tag, Herr D." Herr D. fuhr jedoch unbeirrt fort: "Ich
habe vor einigen Tagen schon einmal..."
"Ja, das sehe ich."
"Auf dem Bildschirm?"
"Ja, und Sie sind Stufe zwei und wollen ein Handy und keinen
Fernseher..."
Herr D. fand das irgendwie unheimlich, aber die Stimme lachte ganz
unbekümmert. Herr D. sagte, er habe sich nun doch für eines der
angebotenen Handys entschließen können und wolle seinen Vertrag
verlängern. Aber auch das hatte die Stimme bereits gewusst.
"Welches Gerät darf es denn sein?" fragte der vermeintlich junge
Mann. "Was, das wissen Sie nicht?" zweifelte Herr D. und freute sich
darüber, dass der so redegewandte Verkäufer am anderen Ende der
Leitung nun tatsächlich schwieg.
Frankfurter Rundschau - 2003
© Hans W. Korfmann
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