Fluch und Segen der Premiere
Herr D. unternimmt einen Jungfernflug nach Griechenland und lässt sich anschließend im Taxi nach Piräus auf ein Gespräch über ein Weltereignis ein
Von Hans W. Korfmann
Berlin Feuilleton
Herr D. war kein Schnäppchenjäger. Er hatte einfach keinen anderen Flug gefunden. Also flog er für 80 Euro mit Easy Jet. Dafür gab es kein Sandwich oder Bordmenü, und es klappten auch keine Bildschirme von der Decke, um den Passagieren zu zeigen, wo sich die Notausgänge und die Sauerstoffgeräte befanden. Obwohl Herr D. noch nie von schwimmenden Fluggästen gehört hatte, brachte das Personal eine komplizierte pantomimische Aufführung zur Aufführung, um die Passagiere mit dem Gebrauch der Schwimmwesten vertraut zu machen. Anschließend begrüßte der Pilot die Gäste an Bord "eines nagelneuen Airbusses auf seinem Jungfernflug nach Athen".
Als die Triebwerke aufsurrten, hatte Herr D. sich noch immer nicht entschlossen, ob ein gerade zusammengenietetes Flugzeug auf seinem ersten Flug nun eher ein Risiko oder einen Sicherheitsfaktor darstellte. Vor ihm fiel eine Frau in Ohnmacht. Die Stewardessen lächelten, als wäre nichts passiert. Herr D. war sich sicher, dass sie beim Ausfall beider Triebwerke ebenso lächeln würden.
In Athen begrüßte man die fliegenden Pioniere mit einer Rose und einer orangefarbenen Schirmmütze. Herr D. nahm sich ein Taxi. "Piräus", sagte er. "Und wo wohnt die Braut?" fragte der Fahrer mit ironischem Seitenblick auf die Rose, "Kreta, Patmos, Lesbos?" - "Kreta!" kam es kleinlaut vom Beifahrersitz. Der Taxifahrer nannte drei Schiffe, Preise und Abfahrtszeiten, er war etwa ein halbes Jahrhundert alt, das Taxi auch. Vom Spiegel baumelten ein Rosenkranz und ein Kruzifix, neben dem überfüllten Aschenbecher stach das in Gold gerahmte Bild einer blonden Schönheit ins männliche Auge. "Meine Frau", sagte der Chauffeur, "früher."
Auf dem Weg zum Hafen lud er zwei weitere Fahrgäste vom Straßenrand auf, die in die gleiche Richtung wollten, bog in verwinkelte Seitengassen und wechselte ständig die Fahrtrichtung. Die Stadtrundfahrt dauerte etwa so lang wie der Flug. Dafür sah Herr D. die neuen Sportstadien. Sie sahen aus wie alle neuzeitlichen Kampfarenen: Gewaltige Säulen und Träger aus nacktem Zement, Dächer wie fliegende Teppiche. Entgegen der von skeptischen Medien geschürten Erwartungen des Herrn D. schien alles fertig zu sein, zumindest von außen. Lediglich den Grünanlagen fehlte es an Grün, Schatten spendende Bäume wuchsen keine in der ockerfarbenen Wüste. "Alles fertig, was?" versuchte es Herr D. Der Fahrer warf einen spöttischen Blick auf den Fahrgast. "Ja, fertig schon. Aber wer weiß, ob es funktioniert. Würden Sie in ein Flugzeug steigen, das keine Testphase absolviert hat, das auf seinem Jungfernflug zum ersten Mal abhebt?" - "Für Testphasen gibt's weder Geld noch Zeit im 21. Jahrhundert", verkündete philosophisch der Dünne im Fond. Auch der Dicke von hinten schaltete sich ein: "Ich komme vom Fach, und ich garantiere Ihnen: Die Fehler sieht man immer erst bei der Eröffnung."
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Man baut solche Stadien nicht fünf Minuten vor Anpfiff", konstatierte der Dünne neben dem Dicken, "aber so sind wir Griechen eben." - "Das wird 'ne Blamage. Und dafür hab ich vier Jahre lang im Stau gesteckt", sagte der Fahrer, bremste scharf, ließ den Dicken aus- und eine umfangreiche Dame mit sechs umfangreichen Einkaufstüten einsteigen. Das Taxi hielt sich offensichtlich für einen Linienbus. "Na, aber Sie werden doch auch an den Spielen verdienen", sagte der Dünne zum Fahrer. "Klar, säckeweise werden wir das Geld zur Bank fahren. Wir werden die Einzigen sein, die an den Spielen was verdienen. Und die ausländischen Fernsehsender, die Turnschuhverkäufer und Funktionäre gehen alle leer aus." - "In ganz Athen gibt's kein einziges freies Taxi mehr. Die Fahrgäste stapeln sie bis unter die Decke, um Geld zu machen. Aber heulen wie alte Mütterchen", sagte die Dicke. - "Ich mach ein Kreuz, wenn ich auch nur einen einzigen Zuschauer ins Auto kriege. Die fahren alle fein mit ihren Shuttles, die die Straßen verstopfen, und ich steh' schon wieder im Stau." "Na, die werden ja auch mal einkaufen oder abends was trinken wollen, und dann nehmen sie ein Taxi", sagte die Dicke. "Ach, das sind doch alles Sportler. Die essen und trinken nichts und sparen wie verrückt für die nächste Olympiade. Wenn's die Fußballweltmeisterschaft wäre das wär was anderes. Fußballfans!"
Der Fahrer bremste scharf und quetschte noch einen d ünnen Mann zwischen die Dicke und den Dünnen. "Nee", sagte er, als sie endlich in Piräus ankamen, "ich fahr während der Olympiade in Urlaub. Zakinthos, kleiner Strand, keine Engländer, meine Frau und ein Kafenion mit Fernseher. Da seh ich mir dann an, wie das alles so funktioniert. Aus sicherer Entfernung. Und klatsch mir mit den andern vor Vergnügen auf die Schenkel, wenn was schief läuft. 23 Euro bitte. Plus zwei Euro Trinkgeld." "Sagen Sie", sagte Herr D., "ganz Griechenland fiel doch in Staatstrauer, als die Spiele von 1996 an Atlanta gingen. Und jubelte, als die von 2004 endlich an Athen gingen. Jetzt meckern alle rum." Der Fahrer zählte die Scheine und lachte: "So sind wir Griechen eben. Wir hätten in der Testphase eigentlich alle durchfallen müssen."
Frankfurter Rundschau - 2004
© Hans W. Korfmann
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