Im Urlaubs-Verhör
Herr D. ist aus fernen Landen mit auffälliger Bräune zurückgekehrt und weckt den Neid der Daheimgebliebenen
Von Hans W. Korfmann
Berlin Feuilleton
Herr D. kam aus dem Urlaub. Anzeichen für die große Flaute im Urlaubsluftverkehr, von der alle Tourismusunternehmen sprachen, konnte er nicht erkennen. Der Flieger war bis zum letzten Platz besetzt mit erschöpften Urlaubern, kreischenden Kindern und genervten Stewardessen. Lediglich einige junge Leute tauschten gut gelaunt ihre Reiseerfahrungen aus. Auch neben Herrn D. saß eine junge Frau, und er fühlte sich geschmeichelt, als sie – wenn auch nur mangels größerer Auswahl in der Sitzreihe – mit Herrn D. ein Gespräch begann. "Sie sind aber auch ganz schön braun!", sagte sie. "Wie lange waren Sie hier?"
"
Ach, gar nicht so lange", antwortete Herr D., der zweimal mit dem Buch auf dem Bauch im Liegestuhl eingeschlafen war und deshalb eine luxuriöse Bräune aufwies. "Aber ich habe einen Trick", sagte er und grinste vielsagend. "Verraten Sie den?" Herr D. zierte sich noch ein wenig, rückte dann aber mit der Weisheit heraus, die er am Nachbartisch in einer Taverne aufgeschnappt hatte: "Olivenöl! Reiben Sie sich mit Olivenöl ein, und Sie sind nach zwei Tagen braun wie ein Lammkotelett vom Grill."
Die junge Frau schien einen Moment lang zu überlegen, ob dieser Farbton zu ihren Haaren passen würde, bedankte sich dann aber ausgesprochen herzlich und versicherte, sich das Rezept zu merken. Am nächsten Tag, Herr D. schob gerade sein heiß geliebtes Fahrrad aus dem Hof, stieß er auf seinen Nachbarn, Herrn Schulz, arbeitslos und nun fanatischer Hobbyhandwerker. "Sie sind aber braun geworden!" Herr D. begann sich allmählich unwohl zu fühlen mit seiner Bräune. Aus dem arbeitslosen Nachbarn sprach eine Spur des Neides, die Herr D. durchaus verstand. Andererseits brauchte man nach einem Jahr in diesem Büro mit dem einsamen Gummibaum und den getönten Scheiben dringend einmal eine Abwechslung. Aber wie sollte Herr Schulz das verstehen, den schon ein unverputzter Rohbau glücklich gemacht hätte. "Wie lang sind sie eigentlich fort gewesen?"
Herr D. hatte die Frage erwartet. Denn Herr D. war tatsächlich unverschämte drei Wochen vom Dienst befreit, und Nachbar Schulz hatte gewiss registriert, dass der Nachbar nicht die landesüblichen zwei Wochen abwesend gewesen war. Herr D. bemühte sich, den Seelenfrieden seines Nachbarn möglichst nicht zu gefährden, und sagte: "Drei Wochen. Aber wissen Sie: Das war’s dann auch wieder. Der nächste Urlaub ist Weihnachten, und dann bin ich in Bonn bei meinen Eltern unter demWeihnachtsbaum." Sagte es und radelte winkend davon. Kaum stieg er wieder vom Rad, kam ihm der Kollege Niemann entgegen. "Mann, D., Sie sind aber mächtig braun geworden, was! Wo haben Sie sich denn die ganze Zeit herumgetrieben?"
Herr D. erinnerte sich, dass der Kollege mit Vorliebe nach Monaco, Cannes oder in die Toskana fuhr, und schlagartig wurde ihm klar, dass seine überdurchschnittliche Bräune bei der Erwähnung seines durchschnittlichen Badeaufenthaltsortes augenblicklich verblassen würde. Herr D. verstand in diesem Augenblick außerdem, dass die Zeiten der aristokratischen Blässe endgültig vorüber waren. Jetzt war nicht die Blässe, sondern die Bräune ein Zeichen des Wohlstandes. An der Bräune wurde man gemessen, und egal, wen Herr D. heute noch treffen würde, er würde es mit seiner Drei-Wochen-Mittelmeer-Bräune niemanden recht machen können: Den Reichen nicht, denen das Mittelmeer zu mittelmäßig war, und den Armen nicht, für die drei Wochen Süden ein Luxus geworden war. Herr D. sah den lauernden Kollegen Niemann an und dachte an eine Lüge. Aber Herr D. log eigentlich nie, er hatte keine Übung im Lügen, und deshalb fiel ihm auch keine geeignete Lüge ein. Er winkte statt dessen lässig ab und murmelte etwas von Kreta, so eine Insel eben, auf die sie alle hinfuhren, kurz entschlossen, Last Minute, war eben günstig gewesen . . .
Der Kollege nickte zustimmend, und D. sah zu, dass er weiterkam. Aber als ihm dann im Gang die Schmitt entgegenkam, mit ihrer Korallenkette und diesem fetten Silberschmuck und dieser ekelhaften Karibikbräune, als sie ihn, der vorsichtshalber schon einmal das Tempo erhöht und größte Eile vorgetäuscht hatte, aus vollem Lauf stoppte und rief: " Mann, D., wo sind Sie denn gewesen? Sie sehen ja aus, als hätten Sie sechs Wochen in der Karibik verbracht! Waren Sie segeln?", da war sie dann endgültig hin, die ganze Erholung. "Nein. Ich war in Berlin! Am Flughafensee!", fauchte Herr D. "Ich spare, wissen Sie. Man weiß ja heutzutage nie, wie lange man seinen Arbeitsplatz noch behält." Dann drehte er zufrieden ab.
Im Lauf seines ersten Arbeitstages fragten ihn noch viele nach seiner Bräune, eigentlich jeder, den er traf, und als Herr D. am Ende wieder auf seinem Rad saß – von dem ihn so schnell niemand herunterholen konnte, nur um ihn mit dieser Frage zu belästigen – als er also endlich wieder seine Ruhe hatte, da schwor er sich, seinen nächsten Urlaub nicht ohne Sonnenschutzfaktor 348 anzutreten und sich nie wieder mit einem Buch in einen Liegestuhl am Strand zu legen. Vielleicht würde er überhaupt in Zukunft bevorzugt in der nebligen Eifel oder im regnerischen Irland urlauben.
Frankfurter Rundschau - 2003
© Hans W. Korfmann
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