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In vier Stunden um die Welt

Herr D. entscheidet sich auf eine dieser Berliner Messen zu gehen und besucht zum ersten Mal die Internationale Tourismusbörse am Kaiserdamm

Von Hans W. Korfmann
Berlin Feuilleton

Zwei Grad plus und Nieselregen. Wieder dieses Berliner Wetter, wieder an einem Wochenende, und Herr D. hatte alle Museen der Stadt bereits besucht. Griesgrämig schaltete er schon beim Frühstück seinen neuen Fernseher ein, das gestochen scharfe Bild der lächelnden Thailänderin unter der Palme mit dem Coconutshake in der Hand ließ Herrn D. den grauen Samstag einen Moment lang vergessen. Dann aber schwenkte die Kamera zurück zur Moderatorin mit der Dauerwelle, die in sensationslüsternem Ton etwas von 180 Ländern quasselte, von 152000 Quadratmetern und dem seit Jahren wachsenden Interesse zwar finanzschwachen, aber um so sonnensüchtigeren Berliner an der Internationalen Tourismusbörse. Als sie erzählte, dass die Branche trotz Tsunami und anderen Katastrophen optimistisch in die Zukunft des Jahres 2005 blicke, und dass ein Rückgang lediglich bei Reisen in den Nahen und Fernen Osten zu verzeichnen gewesen seien, wollte Herr D. die Dauerwelle schon wieder ausblenden. Bei zwei Grad Plus und Nieselregen reagierte er allergisch auf diesen Zweckoptimismus.

Dann aber besann sich die Kamera noch einmal eines Besseren und schwenkte zurück zur noch immer lächelnden Asiatin, und da Herr D. noch nie auf einer dieser Berliner Messen gewesen war, beschloss er, einen Ausflug zu unternehmen. Aber schon, als der Busfahrer vor dem Eingang des Messegeländes seine gesamte Ladung entleerte, die zielstrebig und eiligen Schrittes eine Treppe hinaufstürmte, ahnte Herr D., dass er nicht der Einzige war, der die Idee hatte, auf der Tourismusbörse vom nächsten Urlaub zu träumen.

12 Euro zahlte er für den Eintritt in die heiligen Hallen, doch die Investition lohnte sich. Kaum hatte er die Kontrolleure hinter sich gelassen, betrat er eine andere, eine lächelnde und heile Welt. Wohin er auch blickte, sogar in Deutschland, in Polen oder in der Tschechei: Das Leben war eine einzige Freude. Leuchtende, farbenprächtige Bilder von grünen Wiesen, schneebedeckten Gipfeln, blaurauschenden Flüssen, blond gelockten Pferden auf den Weiden und blond gelockten Frauen an reichlich gedeckten Tischen neben satt lachenden Einwohnern der angepriesenen Urlaubsorte vermittelten das Bild vom Paradies. Zu hungern oder zu frieren brauchte niemand in diesen 180 Schlaraffenländern, auch wenn man dort nie jemanden arbeiten, sondern in Booten rudern, durch die Lüfte segeln oder die unschuldsweißen Hänge der Berge hinunterwedeln sah - abgesehen vielleicht von den glücklichen mongolischen Pferdehirten oder dem grinsenden österreichischen Heurigenwirt.

Und nicht nur die Bilder auf den Wänden und Gläsern, nicht nur Prospekte und Videoaufnahmen, auch die real existierenden Hostessen an den Ständen versetzten Herrn D. in Staunen. Denn nicht allein die Thailänderin mit ihrem Coconutshake, auch die deutschen, ja sogar die Berliner Hostessen an ihren Tresen lächelten, als wäre die Welt ein einziges Vergnügen, und trugen die Leichtigkeit des Seins in kurzen Röckchen und leichten Blusen zur Schau. Überall, auch in Skandinavien und am Nordpol, in den Anden und am ewig kalten Brocken im Harz herrschten 24 Grad Plus. Herr D. hatte Mantel und Pullover ausgezogen und war immer noch am Schwitzen. Einen Moment lang beneidete er den halb nackten Eingeborenen mit dem gigantischen Kopfschmuck und den platten Füßen, der auf dem Plastikteppich der Ausstellungshalle vor dem Halbrund der Touristen stand, die ihre Kameras zückten, als befänden sie sich tatsächlich in Neu Guinea und nicht in am Kaiserdamm.

Herrn D. drängte es nach Asien, er hoffte auf das stille Lächeln, aber auch in der Halle 22, vor Ständen von so exotischen Ländern wie Kasachstan, Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisistan, drängten sich Neugierige, tanzten in Trachten gehüllte Schauspieler vor den Kameras. Selbst dort, wo nur ein einsamer Mann sich schüchtern nach einer Reise in ein Land erkundigte, das Kuwait hieß, lächelte die Hostess, als liefen die Geschäfte hervorragend, und als sei alles in vollkommenster Ordnung.

Herr D. begann sich unwohl zu fühlen in der heilen, von kleinen und großen Katastrophen hermetisch abgeriegelten Welt der Messehallen - und als er am Tresen des Freistaates Bayern zwei Installateure in verdreckten Blaumännern stehen sah, gesellte er sich kurz entschlossen zu ihnen und bestellte ein Bier. "Also, am idiotischsten waren die Chinesen. Wie die mit zwanzig Mann um diese lange Teppichrolle rumtanzten." Der Kollege schlug sich auf die Schenkel. "Oder dieser Typ, der sich sein Teewasser vom Klo holte, weil ihm der Wasseranschluss zu teuer war!" - Herr D. seufzte erleichtert. Die Gesellschaft der Berliner tat ihm gut. Die waren echt. Er sah auf die Uhr. Er war einmal um die Welt gekommen, in knapp vier Stunden. Aber Zuhause, dachte er, ist es eben doch am schönsten.

Frankfurter Rundschau - 2005
© Hans W. Korfmann

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