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Herr D. im Zoo

Seitenblick

Von Hans W. Korfmann

Herr D. hatte den Ostberliner Zoo geliebt. Diese riesigen zaunlosen Wiesen auf denen Büffel und Tapire grasten, Kamele ihrer Wege zogen, ganze Kolonien von Flamingos und Pelikanen heimisch zu sein schienen. Dazu der Charme des maroden Sozialismus, das Improvisierte und Überstrichene. Als er aber nach der großen Wende in einer Tageszeitung die fünfzeilige Nachricht vom plötzlichen Tod des langjährigen Tierparkdirektors las, den man eine Woche zuvor entlassen und durch einen Mann aus dem Westen ersetzt hatte, war ihm die Lust am Zoo vergangen. Über zehn Jahre war er nicht mehr da gewesen.

Doch jetzt feierte der Zoo Geburtstag. Vor fünfzig Jahren, am 1. Juli 1955, hatte die DDR feierlich die Tore ihres Tierparks geöffnet, und so, wie auch der Fernsehturm des Ostens höher war als der des Westens, war auch der Zoo des Ostens größer als der des Westens. Der Fläche nach war er bis heute der größte Stadtzoo Europas. Und auch an diesem Sonntag standen die Menschen wieder brav in langen Zweierreihen, in weißen Hemden, grauen Hosen und Sandalen mit weißen Söckchen bis auf die Straße. Die "Aktuelle Kamera" wäre begeistert gewesen.

Dabei hatten die Preise längst Westniveau erreicht. 10 Euro kostete jetzt der Eintritt für Erwachsene in Lohn und Brot, 7,50 für die vielen Arbeitslosen in der Gegend. Der Kapitalismus hatte seine Spuren auch im Reich der Tiere hinterlassen. Die Löwen waren trotz des erhöhten Eintrittspreises dezimiert. Herr D. erinnerte sich an ein ganzes Rudel von zehn, zwölf ausgewachsenen Raubkatzen, deren Gebrüll ohrenbetäubend war. Jetzt waren es noch zwei, und die lagen so träge und satt in der Ecke wie die Tiere des Westens. Auch Affen waren weniger geworden, Herr D. erinnerte sich noch an ein kleines Affenpärchen, das frei herumlief. Jetzt waren alle hinter Gitter. Und sogar der Beo, dessen Wortschatz so manche Frau zum Erröten gebracht hatte, war wegrationalisiert.

Unverändert geblieben waren nur die Menschen. Sie standen noch genau wie damals geduldig um Wurst und Bier an und hatten adrett gekleidete Kinder an der Hand. Und die Eisverkäuferin reichte dem knatschigen Kind das Schokoladeneis mit strafendem Blick und der Bemerkung: "So, und jetzt wird gelacht."

Frankfurter Rundschau - 2005
© Hans W. Korfmann

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