Der Antiheld und die gefüllten Tomaten
Eine Entdeckung aus Griechenland: Petros Markaris' "Hellas Channel".
Wollte man bösartig sein, könnte man Petros Markaris als den griechischen Simmel beschreiben und das soeben in Deutsch erschienene Buch getrost beiseite legen. Schon auf dem Buchrücken verkündet der Verlag, dass es um Skandalreportagen, die Macht der Medien, um Fremdenfeindlichkeit und Kindesmissbrauch geht. Die Vermutung liegt nahe, dass sich Markaris die profitablen Themen aus den Überschriften der Boulevardzeitungen zusammensuchte - nach dem Erfolgsrezept Simmels und Konsaliks. Allerdings stimmt es nachdenklich, dass Markaris' Held und Polizeikommissar so gar kein Moralapostel ist. Vom erhobenen Zeigefinger oder dem K.o.-Schlag der erwähnten deutschen Kollegen keine leise Spur.
Dieser Kommissar Charitos ist im Gegenteil ein mehr als ausreichend mit menschlichen Schwächen ausgestatteter Durchschnittsbürger - und das, obwohl Charitos selbst und in der ersten Person seine Geschichte erzählt. Er leidet unter Kopfschmerzen, tritt gegen die Tür des Fahrstuhls, der ihm ständig vor der Nase wegfährt, oder er ist eifersüchtig auf seinen Schwiegersohn, "diesen akademischen Gemüsehändler! Studiert er vielleicht, wie weit die Äpfel vom Baum fallen oder wie man Brennnesseln schneidet?" - "Er ist kein Gemüsehändler. Der Junge studiert Agrarökonomie!"
Er flucht jeden Morgen, wenn er mit seinem Fiat Miafiori im Athener Stau stecken bleibt, und wenn Charitos die vierhundert Seiten lange Suche nach dem bösen Mörder überhaupt durchhält, dann nur, um seinen Job zu behalten. Ob der Leser die vierhundert Seiten durchhält, erscheint zunächst zweifelhaft. Denn auf den ersten Seiten entpuppt sich Charitos als wahrhaftes Ekel. Ein Athener Bulle, für den Albaner von Berufs wegen primär Verbrecher sind. "Du hältst mich wohl zum Narren, du Hurenbock, du Scheißalbaner!" schreie ich außer mir. "Ich hänge dir sämtliche unaufgeklärten Morde an, in die albanische Penner in den letzen drei Jahren verwickelt waren. Da kriegst du lebenslänglich, und außerdem scheiß ich auf deinen Berisha!" (...) Plötzlich stürze ich auf ihn los, packe ihn am Kragen und reiße ihn in die Höhe. Darauf war er nicht vorbereitet. Seine Hände knallen gegen die Unterkante des Tisches, und die Zigarette fällt ihm aus den Fingern. (...) Der Kriminalbeamte tritt mit einem genüsslichem Grinsen die Zigarette aus. Kluger Junge, er hat die Sachlage erfaßt.
Es dauert womöglich, bis man über den Antihelden zu schmunzeln beginnt, der sich in einem ständigen Streit mit dem Fahrstuhl, dem Fernsehsender und seiner Frau befindet, die allabendlich das gleiche Bild präsentiert: "Vor geschlagenen fünf Minuten habe ich das Wohnzimmer betreten, und noch immer beachtet sie mich in keiner Weise. Sie hält die Fernbedienung krampfhaft umklammert." Wochenlang wechselt er kein Wort mit ihr, liest stattdessen stundenlang in seinem geliebten Wörterbuch von "Liddell-Scott" und freut sich, wenn die Erklärungen für das Substantiv Manöver eine halbe Seite umfassen. Charitos kann das eheliche Schweigen erst brechen, als eines Tages gefüllte Tomaten auf dem Tisch stehen. Der Gatte schmilzt, denn "auf diese Weise will mir Adriani zu verstehen geben, dass wir uns nunmehr versöhnen sollten. Diese Gewohnheit hat sich seit unserem allerersten Streit eingebürgert".
Ebenso lebendig und authentisch wie Markaris' literarische Figur ist der Hintergrund. Die Geschichte spielt in einem Athen jenseits aller Touristenromantik, fern der Akropolis, in schmutzigen Hinterhöfen, zwischen undurchsichtigen Geschäften und unter einem smogverhangenen Himmel. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen scheinen dabei beabsichtigt. Die Geschichte attackiert, en passant und angenehm unaufdringlich, die Sensationslust der Medien, die Hierarchie im Polizeicorpus, die Fremdenfeindlichkeit der für ihre Gastfreundschaft so berühmten Mittelmeerbewohner.
Durch diese Landschaft läuft als roter Faden die Suche nach dem Mörder, die Auflösung des Rätsels. Charitos ist ein logischer Kommissar, der seinen literarischen Vorgängern keine Schande macht. Nach durchaus üblicher Manier legt der Autor Markaris für den Leser viele mögliche Fährten. Und entwickelt dabei ebenso viele Erzählstränge. Am Ende scheint jedoch selbst der Fährtenleger den Überblick verloren zu haben: Etwas abrupt, wenn auch in der Retrospektive logisch, fügt sich das Puzzle zusammen. Der Spannungsbogen ist ein wirklicher Bogen - er hat am Ende den Höhepunkt bereits überschritten.
Dennoch gilt: Während die deutschen Verlage, die Buchmesse 2001 mit dem Schwerpunkt Griechenland im Visier, händeringend nach passablen Autoren suchen und während selbst der griechische Literaturbetrieb, die vorgezogenen Wahlen im April im Rücken und ein heilloses Durcheinander in der Kulturpolitik drohend vor Augen, noch immer nach dem ultimativen Bestseller fahndet, hat der Schweizer Verlag Gespür bewiesen und auch aus trüben Gewässern einen Goldfisch geangelt. Petros Markaris hat sich vom Ballast der griechischen Tradition befreit. Weder Landschaft und Historie noch das in poetischen Befindlichkeiten schwelgende Alter Ego griechischer Schriftsteller beschweren den Lauf des Romans. Er erzählt mit einer unter griechischen Intellektuellen seltenen mediterranen Leichtigkeit, voller Lust am Fabulieren. Mit Kommissar Charitos ist eine Figur ins literarische Leben getreten, der man ein längeres Wirken wünschen möchte, als es solch magenkrebsgefährdeten Griesgramen aus medizinischer Sicht vorausgesagt wird. Petros Markaris: Hellas Channel. Roman. Aus dem Griechischen von Michaele Prinzinger. Diogenes-Verlag, Zürich 2000. 320 Seiten, 44,90 DM.
Frankfurter Rundschau - 2000
© Hans W. Korfmann
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