Zwischen Kudamm und Afrika die Wohnung
auf der grünen Insel
Herr Frädrich wohnt nur wenige Minuten
vom hektischsten Berliner Verkehrsknotenpunkt entfernt und
hört nachts die Hyänen schreien
Herr Dr. Frädrich wohnt in zentraler Lage: Hinter
seinem Domizil ragt die Ruine der Gedächtniskirche in die Höhe,
am abendlichen Himmel geht der Mercedesstern auf. Zu Fuß braucht
er fünf Minuten zum Kudamm, quasi vor seiner Haustür startet
der Intercityexpress, kreuzen sich die U-Bahnen, sammeln sich die
Taxis.
Doch es ist nicht der Lärm der Straße,
es sind die Schreie der Hyänen, die nachts seine Ruhe stören.
Früh am Morgen weckt ihn das Kreischen der Gibbons, und wenn
er aufsteht, sich den Schlaf aus den Augen reibt und aus dem Fenster
schaut, sieht er im Morgengrauen die majestätischen Löwen
unruhig auf- und abgehen. Aber es ist nicht etwa so, daß Herr
Frädrich mit offenen Augen träumt, im Gegenteil, es geht
ihm gut, denn er hat seinen Traum Wirklichkeit werden lassen: Er
lebt auf einer grünen Insel inmitten einer Stadt, die er liebt.
Schon als Schüler sammelte Frädrich alles,
was kreuchte und fleuchte, eine Leidenschaft, die von seiner Mutter
"verständnisvoll geduldet", von seinem Vater jedoch
regelrecht gefördert wurde. Als Gymnasiast verdiente er sich
sein Taschengeld in den Schulferien im städtischen Zoo, entschied
sich nach dem Abitur für ein Studium, das damals, in den Sechzigern,
schon fast als brotlose Kunst galt: Biologie. Nach dem Abschluß
in Göttingen ging Frädrich in Frankfurt, beim sagenumwobenen
Professor Grzimek, der jeden Montag via Bildschirm in die deutschen
Wohnzimmer eindrang, in die Lehre, reiste nach Afrika und schrieb
seine Dissertation über jene Tiere, denen noch heute seine
ungeteilte Sympathie gilt: die Warzenschweine. Wenn der Direktor
des Berliner Zoos von ihnen spricht, beginnen die Augen des Sechzigjährigen
zu glänzen wie die von Kindern beim Anblick des ersten Schnees.
Indizien für seine Leidenschaft findet man in
seiner Wohnung: Zwischen den üblichen Phönixpalmen und
dem Ficus Benjamin ziert der Schädel eines seltenen Wildschweines
das Fensterbrett. Unter den Tierzeichnungen, die die Wände
des Wohnzimmers schmücken, sind die borstigen Tiere ein häufiges
Motiv. Manchmal sucht Frädrich in Antiquariaten nach Bildern
seiner Lieblinge oder anderen Tiergartenmotiven, die in das Treppenhaus
oder ins Arbeitszimmer passen könnten. Aber es ist selten,
daß er wirklich eines mitbringt. In den fünfundzwanzig
Jahren, in denen Herr Frädrich hier wohnt, hat sich wenig verändert,
und kaum etwas verrät, wie weit er herumkommt in der Welt.
Kein Zimmer der geräumigen Wohnung im Häuschen neben dem
Elefantentor ist mit Schätzen aus Afrika und Asien überladen.
Keine Trommeln, keine Tigerfelle, keine Speerspitzen an der Wand.
Zwei buntbemalte, hölzerne Enten stehen auf dem großen
Tisch vor dem Ledersofa und den beiden Sesseln, in einem Wandschrank
hinter Glas liegen ein paar Kuriositäten aus Elfenbein und
Edelholz. Auf dem Boden des Wohnzimmers breiten sich bequem zehn
Teppiche aus. Sonst ist der Raum leer. "Ich leide nicht gleich
unter Kaufzwang, wenn ich etwas sehe, das mir gefällt."
Besonders im efeuumrankten Arbeitszimmer des Zoodirektors
herrscht kühle Gelehrsamkeit. Der mächtige Schrank aus
Makassaholz mit seiner eigentümlichen Maserung erinnert an
kolonialen Reichtum und die Prunksucht einstiger Epochen, doch der
Eindruck täuscht. Das Möbel ist ein Erbstück seines
Vaters und dient allein den Büchern: Hinter Glas stehen Folianten,
zoologische Lexika und biologische Studien. Auf dem funktionalen
Schreibtisch mit der Bogenlampe steht statt des Computers ein schmuckloses
Schreibmaschinenmodell aus den sechziger Jahren. "Wenn meine
Zeit als Direktor abgelaufen ist, dann werden wir in eine Altbauwohnung
ziehen, irgendwo hier in Charlottenburg. Ich brauche kein eigenes
Haus im Grünen."
Fast scheint es, als schäme sich der Mann für
das Privileg des riesigen Gartens. Wer sonst in Berlin kann abends
mit seiner Frau auf verschlungenen Wegen zwischen Flamingos und
Elefanten, Giraffen und Raubkatzen spazieren. Das machen sie oft
in den warmen Sommernächten. Meist ist es still, die Löwen
sind noch nie über den Graben gesetzt, die Riesenschlangen
immer im Terrarium geblieben. "Es ist alles nicht so abenteuerlich,
wie ich mir das einmal vorstellte."
Nur eines Nachts, es war am Heiligen Abend, klingelte
es unten an der Tür. Als Frädrich ans Fenster trat, sah
er eine Gestalt, die etwas an die Klinke hängte und sofort
wieder im Berliner Nebel verschwand. Frädrich nahm das Säckchen
mit hinauf, dann klingelte das Telefon, und er vergaß das
Geschenk bis es sich zu bewegen begann. Es waren zwei exotische
Wachteln, die einige Wochen zuvor aus dem Zoo verschwunden waren.
"Offenbar hatte der Dieb am Heiligabend Reuegefühle entwikkelt!"
Berliner Zeitung - 1997
© Hans W. Korfmann
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