tellerrand
Speisen für Werktätige, über die Werktätige
ins Rätseln geraten - nicht nur an Silvester
Das ETA Hoffmann reicht Eisbein für
Allerweltslyriker
"Gehen wir wieder Essen an Silvester?" -
Sie ruft das vielleicht vom Bad herüber, wo sie vor dem Spiegel
steht, sich die Haare drapiert oder gerade ein wenig Rouge auflegt.
"Ja, können wir schon machen!" - Er
sitzt gerade auf dem Biedermeiersofa, die Beine bequem über
die Polster gelegt, mit einer gewaltigen Zeitung in der Hand.
"Und wo gehen wir hin, Liebling?" - So nett
jedenfalls sind die schönen Frauen in Hollywood zu ihren Ehegatten.
"Wir könnten ins ETA Hoffmann gehen. Das
war letztes Jahr in allen Zeitungen. Steht hoch im Kurs." -
Er ist jetzt beim Wirtschaftsteil angelangt.
"Und wo ist das?" - Sie wirft im Spiegel
einen Blick auf den fantastischen Gatten. "In Kreuzberg!"
"Oh, toll!", sagt sie. (Amerikanisch: "Ouu,
gräht!") Der Strich auf ihren Lippen ist schon wieder
nicht gelungen.
Das ETA Hoffmann ist nicht nach jedermanns Geschmack.
Obwohl man auf dem strahlenden Unschuldsweiß der ETA Hoffmannschen
Tischdecken durchaus auch rustikal Anmutendes serviert. Es gibt
da, wie schon der überraschte Tagesspiegel-Kritiker Bernd Matthies
in einer seiner spannenden Restaurantkritiken schrieb, ein Gericht,
das "lakonisch" Erbseneintopf mit Eisbein heißt
- aber keine Bauarbeiternahrung ist. Sondern "eine schaumige,
asiatisch geschärfte Suppe aus grünen Erbsen mit einer
witzigen Eisbein-Erbspüree-Rolle." Da würde der Werktätige
nur so staunen! Schon das Lesen der Speisekarte dürfte seine
Sprachkenntnisse auf eine harte Probe stellen. Allein der Gourmet
versteht es, mit diesen Kreationen aus Wort und Fleisch spielend
umzugehen: "Fasanenbrust auf Sauerkraut-Kartoffelpüree
und Trüffelsauce mit Lerroys feinem Morey St. Denis, Seezungenfilets
mit kandierten Zitronen und Kaviar plus Chassagne-Montrachet".
Zwar wurde schon das das schummrige Licht im Saale
bemängelt. Auch der Service, "der Sicherheit in zeremoniellen
Gesten sucht", brav kommt der Connaisseur jedoch zu dem Schluss,
dass dies das interessanteste Restaurant Berlins sei.
Obwohl man hier nicht auf Luxus verzichten muss, gibt
es gleich drei Variationen des proletarisch anmutenden Kartoffelsalates.
Wohl um die Kunst des Kochs unter Beweis zu stellen, die "modern,
mutig, schnörkellos und einfach nur himmelschreiend gut"
sei, so diverse Stadtvorkoster. Eine soll beim Dessert derart ins
Schwärmen geraten sein, dass sie ausrief: "Ach, ist das
Leben nicht wunderschön!"
Andere loben das "Rinderfilet im Entenhals auf
Pecher-Mignon- Butter" und das "Kalbsherz im Rotweinjus
mit katalanischem Kohl und gebackenem Schweinsohr" als Gerichte,
die "man noch nie zuvor gegessen hat". Was an sich noch
keine Kunst ist. Ob nun die Speisen in der Yorckstraße so
fantastisch sind wie ihr Ruf, oder ob sie ähnlich aufgeblasen
sind wie die blumige Sprache der Zeitungslyriker, das kann kosten,
wer über Geld oder Visacard verfügt. Und einigermaßen
gut angezogen ist. Klaus Dieter Müller, der berühmteste
Bayernfan und der berühmteste Zeitungsverkäufer Kreuzbergs,
meidet das ETA Hoffmann. Es gehört zu jenen wenigen Kreuzberger
Lokalen, die er auf seiner abendlichen Verkaufstour nicht betritt.
Eisbein, Sauerkraut, Erbsenpüree - okay. Aber nur eine Spur
zu viel der Berliner Realität, und aus der vielgelobten Herzhaftigkeit
wird eine Farce.
HANS W. KORFMANN
ETA Hoffmann, Yorckstraße 83,
Tel. 78 09 88 00; Vorspeisen ab 32, Hauptspeisen ab 46 Mark
taz - 2001
© Hans W. Korfmann
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