Der einen Baum Pflanzt
Grüner Inseltraum: Auf dem dürren Boden Kretas zieht der Belgier Joel Grandel 150 Bäume hoch
VON HANS W. KORFMANN
Es fällt auf, dieses kleine Tal von Dytiko mit
den weiß-gekalkten Steinringen, die das
bisschen fruchtbare Erdkrume um die
Bäumstämme davor bewahren sollen, mit
dem ersten Regen im Winter gleich wieder
ins Libysche Meer gespült zu werden. Mit
dem aus alten Schläuchen zusammengeflickten Bewässerungssystem,
das an die dreijährigen
Stämme führt, die sich ans steile, von
der Sonne gnadenlos verbrannte Erdreich
der kretischen Küste klammern. Mit dem
rostigen Maschendraht und den wackligen
Pfählen aus Besenstielen, die nur notdürftig
vor den gefräßigen Ziegen schützen.
Das sieht nicht auswie eines jener EU-subventionierten
Wiederaufforstungsprojekte.
Es sieht auch nicht aus wie die Arbeit eines
ordentlichen Tomatenbauers, der endlich
den Wert seines trockenen Tales erkannt hat,
durch das jedes Jahr ein paar Touristen mehr
wandern. Weil am Ende diese blaue Bucht
mit dem Sandstreifen liegt, ein potenzielles
Urlaubsparadies, wenn es nur etwas
Schatten gäbe, und wenn Ziegen und Schafe,
jetzt schon zweimal im Jahr künstlich befruchtet,
nicht noch das letzte Grün von den
Hängen der kretischen Südküste knabbern
würden.
Das Fernsehen filmte ihn heimlich
Nein, diese 150 jungen Bäume hat kein Grieche
aus dem nahen Dorf gepflanzt. Ein Grieche
hätte ordentliche Drahtzäune um seine
Pflanzung gespannt und neue Wasserschläuche
gelegt. So aber fiel dasTal selbst dem Kamerateam
des staatlichen Fernsehens auf,
und als Joel Grandel eines Morgens den Vorhang
zu seiner Hütte am Meer beiseite
schob, sah er das ausgestreckte Objektiv einer
schweren Kamera auf sich gerichtet. Sie
sind nicht herüber gekommen, sie haben
nicht mit ihm gesprochen, und er selbst hat
den kleinen Film nie gesehen. Er hat keinen
Fernseher in seiner aus Bambus, Schilf und
EU-Paletten zusammen gezimmerten Hütte
unter dem Felsen am Strand, aber die Leute
im Dorf haben es ihm am nächsten Morgen
erzählt. Dass er einen Moment lang zu sehen
war, er und die 150 Bäume, die er inzwischen
gepflanzt hat. Sie erzählten es nicht ohne
Stolz. Es war das erste Mal, dass die spärliche
Siedlung von Gewächshausbauern im
Fernsehen erwähnt wurde. Auch so etwas
wie Anerkennung hörte Joel Grandel aus ihrer
Stimme heraus.
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Dabei hatten sie ihn alle für verrückt gehalten.
Diesen Langhaarigen, der irgendwann
damit begann, auf diesem Land, das
niemandem gehört, Bäume zu pflanzen. Anstatt
Geld zu verdienen, damit er sich endlich
ein ordentliches Dach über
dem Kopf leisten konnte. Doch
eine regelmäßige Arbeit ist
nichts für ihn, nur hin und wieder
ging er zuden Gewächshausbauern,
um sich ein paar Euro
für das Nötigste zu verdienen. „Kakomiris“ sagten sie zu ihn. „Kakomiris“, das sagen sie
manchmal mitleidig und mitfühlend,
manchmal spöttisch zu jenen, die Pech
gehabt haben. Sie sagen es zu einem, dem
sich bei der Geburt die Nabelschnur um den
Hals wickelte, oder zu einem, der einmal Millionen
hatte und sie dann im Kartenspiel
wieder verlor. Sie sagen es zu vielen, denn „Kako“, das heißt schlecht, und „Mira“ ist
das Schicksal. Kakomiris.
Vielleicht stand tatsächlich kein guter
Stern über dem Leben von Joel Grandel.
Doch jetzt hat er einen Traum: Er möchte
das trockene Tal von Dytiko in ein Paradies
verwandeln. Er geht mit einer schweren Hacke
gegen den Berg an, mit einem Pickel,wie
man ihn im Bergbau verwendet, in den Minen,
in denen man nach Erz und Kohle
gräbt. Er könnte ihn aus einer dieser Minen
in seiner belgischen Heimat mitgebracht haben.
Fünf Jahre hat er dort gearbeitet, weil es
sonst nichts gab für ihn. Joel fährt sich noch
heute mit dem Handrücken über die Stirn,
wenn er an die Hitze zurückdenkt, die Plackerei,
den verbogenen Rücken, diese ganze
lichtlose Jugend. Erwar sechzehn. Kein Wunder,
dass er eines Tages die lichtüberflutete Ägäis als Wohnsitz wählte. Obwohl er ja eine
schöne Kindheit hatte, er sagt, er „ist immer
im Wald gewesen, tagelang, eine wunderbare
Natur gibt es da“. Vielleicht hat dort die
Liebe zu den Bäumen ihre Wurzeln.
Wenn Joel Grandel von Belgien erzählt,
dann nimmt das Leben keine wirklichen
Konturen an, kaum eine Linie
lässt sich finden, kreuz und
quer, hin und her scheint es gegangen zu
sein. Mit seinem Stiefvater
verstand er sich nicht besonders,
und die Schule war
auch kein Zuhause für ihn. Es
blieb nur noch die Flucht, und
1983 kam er zum ersten Mal nach
Kreta, 25 Jahre alt. Arbeitete auf
dem Bau, in den Gewächshäusern und zog
mit seiner Gitarre und einem Italiener als
Straßenmusiker durch Heraklion.
Manchmal besuchte er Herrn Nikolaidis in
Chania, einen alten Freund seiner Mutter aus
Belgien. Herr Nikolaidis war immer nett zu
ihm, manchmal wollte er Joel überreden, in
Chania zu bleiben. Aber der sagte: „Ich habe
mein Leben in Dytiko!“ Da hatte Joel sein Tal
schon entdeckt. Eines Tages war er mit dem
Straßenmusiker von Heraklion über die Berge
nach Süden gefahren und hatte plötzlich
ganz oben über dem Meer gestanden und hinunter
gesehen und gesagt: „Das ist es.“ Außerdem wusste
er damals noch nicht, dass dieser
Herr Nikolaidis sein Vater war.
Jetzt lebt er also in so einer Hütte am
Meer, wie sie 1983 noch oft hier am Strand
standen, bewohnt von langhaarigen Weltenbummlern.
Sogar Scottie, der „letzte Hippie“,
kam irgendwann nach Dytiko und lebte
dort noch mal ein bisschen wie die Hippies
in den Höhlen von Matala. Jetzt ist nur
noch Joel da, Joel mit seinem Kanu und seinen
Fellen. Und den 150 Bäumen, die er gepflanzt
hat. Agaven, Akazien, Oleander, Tamarisken,
Palmen, Oliven, Gummibäume
und zwei Gingkos. Drei Stunden braucht er,
um sein Land zu bewässern. Dieses Land,
das niemandem gehört. Aber über das Gott
und die Archäologen ihre schützende Hand
halten. Denn es gab einmal eine Zeit, da war
die stille Bucht dort unten ein lauter römischer
Hafen, da lebten 20000 Menschen
hier, da gab es Häuser, Straßen, blühende
Gärten. Jetzt haben die Archäologen das
Bauen verboten, und „es kann niemand etwas
dagegen machen, und wenn ich hier
1000 Bäume pflanze“, sagt Joel und grinst.
Die Preise der
Baum-Tombola:
ein Frühstück
beim Bäcker, eine
Flasche Wein,
eine Kanufahrt.
Sonst hätten sie ihn längst vertrieben, die
griechischen Tomaten- und Gurken- und Hotelbauer.
Der Platz wäre ideal für ein Hotel.
So aber dulden sie ihn, und seit das Fernsehen
da war, kommt manchmal einer und
schenkt ihm einen alten Schlauch. Schließlich
könnten die jungen Bäumewirklich einmal
zu Schattenspendern werden. Und dann
hätten alle etwas davon, auch die drei Hotelbesitzer
ein Stück weiter westlich des Tales.
Oder die Besitzer des Restaurants, in dem
Joel seine Tombola „Für mehr Grün in Dytiko“
veranstaltet. „So 150 Euro bekomme ich
da schon zusammen jeden Sommer. Und ein
gutes Feedback. Die Leute geben mir Kraft.
Spirit!“, sagt Joel Grandel. Fünf Euro kostet
das Los, der Erlös fließt zu 100 Prozent in die
Tasche von Joel - und kommt damit zu 100
Prozent seinen Bäumen zugute. Egal, ob er
damit nun einen neuen Steckling kauft oder
ein Stück Draht, seine Arbeitskraft finanziert
er mit dem Erlös der Tombola jedenfalls
nicht.
Auch der kleinen Gewinne wegen braucht
Joel nicht in die Loskasse zu greifen, die Preise
sind gesponsert: ein Frühstück beim Bäcker,
eine Flasche Wein, eine Kanufahrt.
Und natürlich gibt es Patenschaften für Bäume.
Die Kinder der Urlauber ziehen die Lose,
die Gewinner werden im Restaurant von
Odysseas ausgehängt. Eigentlich hat dieser
Odysseas schon jetzt gewonnen.
Aber auch Joel hat gewonnen: Freunde.
Viele, die hierher kommen, kennen ihn und
grüßen freundlich. Sie kennen auch die Magic Bizarre Rockband Crete,
in der Joel Gitarre
spielt. „Wir haben mehr als 50 Fans“, erzählt
er, aber auch erste Feinde sind aufgetreten. „Der Platz wird immer voller“, und wo
früher friedliche Hippies in der Sonne dösten,
kommen sie jetzt und spielen Beachball
genau vor seiner Haustür.
Einmal brüllte er durchs Tal: „Ruhe!“
Kürzlich, als ein Kind den halben Tag lang
Steine aufeinander schlug, dass es nur so
knallte, da hat er die „Tür“ aufgerissen und „Ruhe“ geschrien. Der Vater hatte gekontert,
Joel solle sich nicht wie „TheKing of the
Beach“ aufführen. Aber vielleicht werden
die vielen Touristen ja eines Tages ausbleiben,
weil es in ihren belgischen, deutschen,
englischen Heimatstädten keine Arbeit
mehr gibt.
Die Griechen, die so gern vom Geld träumen,
würden sich ärgern darüber. Joel Grandel
wäre das nur recht so. Joel Grandel, der
da in seinem Wigwam wie ein Indianer die
Beine übereinander schlägt, träumt von seinem
Tal. „Kakomiris“, sagen die Griechen.
Aber vielleicht wird sein Traum doch wahr
werden, vielleicht wird das wirklich einmal
ein fruchtbares Tal sein, indem der Bach wieder
fließt und Blumen blühen. Und vielleicht wird auch sie
eines Tages hierher kommen,
die kleine Tochter, die Joel mit seiner
Freundin in einer dieser warmen Nächte unter
diesem glitzernden Sternenhimmel gezeugt
hat. Und die er schonso lange nicht gesehen
hat. Vielleicht wird sie eines Tages
hier in einem kleinen Wald mit Palmen und
Gummibäumen und zwei Gingkos spazieren
gehen und sagen: Das alles hier hat mein
Vater einmal gepflanzt. Ganz allein.
Infos
Vor wenigen Jahren noch war Dytiko, was
so viel heißt wie „westlich“, nicht mehr als
eine Ansiedlung zerfledderter Gewächshäuser
westlich von Lentas an der kretischen
Südküste. Das Schild an der Straße,
das die Siedlung als eigenständige Ortschaft
auszeichnet, ist noch neu. Auch
der Bus hält erst seit zwei Jahren hier, um
Schulkinder in die Schule und wieder
zurück zu bringen. Denn inzwischen haben
die ersten hier ihre Häuser gebaut. Früher
war Dytiko der Ableger von Lentas, das
die Hippies bereits in den Siebzigern entdeckten.
Sie schlugen schon damals ihre
Zelte gern am langen Strand im Westen
auf. Abends gingen sie in die Tavernen
von Lentas. Inzwischen aber gibt es auch
in Dytiko drei Tavernen, Zimmervermietungen
und einen Laden mit Badelatschen
und Sonnencreme. Sogar im griechischen
Fernsehen wurde der Ort letztlich erwähnt:
wegen des Tales von Dytiko, in dem Joel
Grandel vor einigen Jahren mit der Aufforstung
begonnen hat.
Auskunft zu Kreta: Griechische Zentrale
für Fremdenverkehr, Tel. 069 / 25 78 270,
E-Mail: info@gzf-eot.de.
Frankfurter Rundschau - 2006
© Hans W. Korfmann
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