Auf die Plätze, fertig ... Hochsaison!
Vorsicht, frische Farbe. Wie sich Korfu
auf die Invasion der Touristen vorbereitet
von Hans W. Korfmann
Dichter Verkehr im Luftraum. Vor den noch aus den
Zeiten englischer Protektion stammenden Fassaden der Hotels am alten
Hafen von Kerkira schwirren Hunderte von Schwalben durcheinander.
Gelenkt von einem erstaunlich sicheren Navigationssystem, fliegen
sie unfallfrei ihre Nester in den um die Jahrhundertwende erbauten
Gebäuden an. Sie sind die Ersten, die im Frühjahr über
Kerkira herfallen und vorübergehend Quartier beziehen. Wenig
später kommen die großen Vögel mit den roten Schwanzflossen
der deutschen LTU oder den blauen der englischen Galaxy.
Eine der am häufigsten gebrauchten Redewendungen
des griechischen Mittelmeerbewohners lautet: »Lieber zu spät
als nie!« Sie stammt aus einer Zeit, da die Toleranzgrenze
einer Verabredung für zwölf Uhr mittags noch zwischen
elf und eins lag, als man sich nicht nach dem Kalender, sondern
nach dem Wetter richtete. Und als die Ernte begann, wenn die Frucht
reif war.
Heute steht der Tag der Ernte schon Monate im Voraus
fest: Den Beginn der deutschen Ferien hat sich jeder Korfiot ins
Gedächtnis graviert. Doch ein wenig vom alten Laissez-faire
und von der mediterranen Unpünktlichkeit ist geblieben. »Die
Griechen machen immer alles in letzter Minute«, klagt der
Taxifahrer. »Drei Tage vor der ersten Landung fangen die an,
die Straße aufzureißen.«
Überall in Kerkira, der Hauptstadt der gleichnamigen
Insel - den Resteuropäern eher unter dem Namen Korfu bekannt
-, herrscht emsiges Treiben. Nägel werden eingeschlagen, Farbe
wird aufgetragen, ein Heer von Gärtnern ist angerückt,
die Grünflächen mit Stiefmütterchen und Tulpen zu
verzieren. Die rostigen Wände der Ausflugsschiffe werden überpinselt,
die Preistafeln auf den neuesten Stand gebracht.
Die Hafenstadt bereitet sich auf eine Invasion vor,
alle tauglichen Männer sind damit beschäftigt, Kerkira
jenen Anschein zu verleihen, der in den glänzenden Touristenbroschüren
verbreitet wird: den der Hauptstadt einer grünen Insel mit
strahlenden Fassaden, weißen Schiffen im blauen Hafen, blühenden
Gärten und mit dem Achillion, dem über die Bucht blickenden
Refugium der Kaiserin Sisi inmitten von Palmen, gigantischen Gummibäumen
und uralten Olivenhainen.
Auch 20 Kilometer entfernt, entlang der Ostküste
bis zur südlichen Spitze, rüsten Greek-Grill-Manolis,
Adonis Hotel, die Sunset-Beach oder auch Paloma Blanca für
den anrückenden Frühling. Man stellt Plastikstühle
auf, hängt die Lautsprecher wieder auf die Veranda und füllt
den Kühlschrank mit Coca-Cola und Mythos-Bier. Abends aber
herrscht noch Ruhe. Wenige Tage noch wird es dauern, bis die Geisterstadt
zum Leben erwacht, auf der Gokart-Bahn wieder die Motoren knattern
und in den Diskos die ausländischen Mädchen tanzen. Noch
vollzählig hocken im Stall neben der Taverne 100 Hühner
auf der Stange, und im einzigen Kafenion, das auch im Winter öffnet,
hängen 20 junge Männer mit 20 identischen Sonnenbrillen
herum, hinter denen sie noch vergeblich nach den ersten blonden
Sabines, Lindas und Judys ausspähen.
Wirkliche Stille herrscht lediglich noch auf der Rückseite,
dem vom griechischen Festland abgewandten Südwesten der Insel.
Kein Hammerschlag, kein Motorengeräusch, keine Stimme außer
der des ewig vor sich hin murmelnden Meeres. Nichts deutet auf die
nahende Ankunft der Fremden hin, friedlich liegt der lang gezogene
Strandstreifen unter der steilen Küste.
Müsste Homer seinen Odysseus im 21. Jahrhundert
an ein griechisches Gestade spülen, dann würde er eine
Kulisse wie diese wählen: verlassen die drei Zementburgen mit
den Heineken-Schildern, die Scheiben blind verklebt vom feuchten
Atem der Brandung, die schilfbedeckten Sonnendächer vom Wind
zerfetzt. Im Sand das von Sonne und Salz gebleichte Treibholz, den
zu Bergen aufgehäuften Bambus, die verknäulten Schlangen
alter Schiffstaue, zerfetzte Fischernetze ...
Daneben das neuzeitliche Strandgut, jener unverdauliche
Auswurf der griechischen Gegenwart mit ihren Plastikflaschen und
ihren Autoreifen, den blauen Plastiktüten und den Bierbüchsen,
den vereinsamten Badelatschen und Schwimmflossen. So liegt er da,
ein verlassener Küstenstreifen, ein neugriechisches Idyll.
Doch bald entdeckt der Gestrandete erste Anzeichen
von Leben. Kinder sind gekommen, ausgerüstet mit Eimern und
Obstkisten, und beginnen, den Strand vom Unrat zu befreien. Am Nachmittag
nehmen auch hier die Männer Hammer und Pinsel zur Hand, um
die Taverne am Strand sommerfest zu machen und Santa Barbara neues
Leben einzuhauchen. Santa Barbara, benannt nach einem Ort im goldenen
Kalifornien und der Kapelle Agios Barbaris, die nicht weit vom Dorf
am Ende jenes fruchtbaren Tales liegt, das sich mit blühenden
Obstbäumen, grünen Gärten und silbernen Olivenhainen
bis an den trostlosen Meeresrand hinunterzieht. Agios Barbaris ist
ein unpopulärer Heiliger byzantinischer Herkunft, ein Fremder
sozusagen, dessen Geschichte hier niemand genau zu erzählen
weiß. Doch hat er sich erbarmt und auch hier den Sand in Gold
verwandelt.
Gemeinsam mit Spiros Miaris. Auch ihm, so witzelt
man oben in Perivoli, müsste man, wenn schon keine Kirche,
so doch mindestens ein Denkmal setzen. Spiros winkt ab. »Was
soll ich mit einem Denkmal? Damals, als ich hier den Strom runterlegen
wollte, da hätte ich ihre Hilfe gebraucht! Aber da hat keiner
eine Mark geben wollen.«
Deshalb hat Spiros das alles allein in die Hand genommen.
Entschloss sich, doch noch einige Jahre hinter der Maschine in Deutschland
zu stehen - inzwischen sind es 36 geworden. Nur, um einmal im Jahr
in sein Heimatdorf zurückzukehren und weiterzubauen. Oben in
Perivoli das Haus und unten am Meer die erste Taverne. Allein brachte
er Strom und Wasser in die Sandwüste, verwandelte den steinigen
Weg in eine Straße, malte einen Namen auf ein Stück Holz
und pflanzte es neben den Weg: »Santa Barbara«. Jetzt,
18 Jahre später, schiebt ein Bulldozer auf Bezirkskosten die
300 Jahre alten Olivenbäume beiseite, um den schmalen Asphaltstreifen
in eine breite Straße zu verwandeln - für die klimatisierten
Reisebusse, die einmal kommen sollen.
Die Chancen stehen nicht schlecht. Schon sind weiter
oben Pensionen entstanden, Griechen, Holländer, Engländer
und Deutsche bauen ihre Feriensitze auf dem fruchtbaren Ackerland.
Zwischen den alten Weinstöcken und den grünen Feldern
stecken die zukunftsweisenden Schilder, zweisprachig: »Land
zu verkaufen - land for sale«. Spiros Haus im Sand ist zur
Keimzelle eines Feriendorfes geworden. Er hatte Recht behalten:
Der Ort ist geeignet für deutsche Badegäste, selten gibt
es so viel Sand auf der Insel wie hier. Und man spricht Deutsch.
Nicht erst seit gestern. Schon seit über 30 Jahren.
Denn nicht nur Spiros Miaris, sondern alle aus dem
Dorf mit dem hübschen Namen Perivoli (der Garten) waren sie
dort: in München, Regensburg, Augsburg, sogar bis Berlin sind
sie gekommen. Damals, in den Sechzigern, als man sie brauchte, um
das deutsche Wirtschaftswunder blühen zu lassen, als die griechische
Regierung mit den Deutschen einen Vertrag über den Verleih
von Arbeitskräften abgeschlossen hatte. Was hätten sie
zu verlieren gehabt außer ein paar Tomaten, Gurken und meckernden
Ziegen. Also waren sie fast alle einmal dort - nur Manolis, der
von Geburt an humpelt, und Stephanos, der zwei Mützen übereinander
trägt, ohne sagen zu können, warum, eigneten sich nicht
für den Export und blieben im Dorf.
In Deutschland gespart, daheim gebaut
Bei den meisten ist es lange her, und im Kafenion
erinnert man sich gerne an die Ferne der Vergangenheit, kramt liebevoll
die paar Brocken Deutsch wieder hervor, die man gelernt hat am Fließband
und bei Karstadt beim Einkaufen. Nach dem abwechslungsarmen Winter
sitzen sie oft zusammen mit den ersten Touristen am runden Plastiktisch
vorm Kafenion.
»Deutschland ist gut!«, sagt einer von
ihnen, die blaue Jacke eines ausgedienten Anzuges über dem
verschwitzten Hemd. Am Handgelenk trägt er eine goldene Uhr,
sie läuft noch immer, 20 Jahre schon, auf die Minute genau
- vom Kaufhof. Charalampos hebt die Augenbrauen, wenn er von damals
spricht, und ab und zu den Finger, damit keiner ein Wort verpasst
von der Deutschlandhymne. »Wir haben gut verdient. Und wir
haben Spaß gehabt. Ich war in Rüsselsheim, da wo Opel
ist. Jetzt hab ich ein Haus, einen Laden und Zimmer zu vermieten.«
Der Alte neben ihm lacht, dass die Kronen der drei
letzten Zähne blitzen. Er war nicht bei Opel, er hat in einer
Lederfabrik gearbeitet, in Regensburg, drei Jahre lang. »Unsinn!«,
sagt er. »Achthundert habe ich gekriegt. Für zehn Stunden
am Tag. Die Deutschen haben das Doppelte gekriegt, für dieselbe
Arbeit.«
Die Mundwinkel des Nachbarn mit der Golduhr, die zuvor
noch freudig bis an die Ohren rührten, fallen schlaff herunter.
Der offene Widerspruch des Alten hat ihn beleidigt. Jetzt hebt er
Finger und Augenbrauen gleichzeitig: »Du redest doch Blödsinn.
Wir haben alle was mitgebracht nach Hause! Wir haben doch alle was
gekauft, als wir dann wieder hier waren!«
»Ja«, sagt der Alte und lacht, »aber
nur weil wir jede Mark gespart haben! Weil wir immer nur am Sparen
waren ... Sparen, Sparen, Sparen ...« Charalampos forscht
verunsichert in den Gesichtern des deutschen Urlauberpärchens.
Dann lacht er und sagt: »Der Alte hat keinen Anstand - das
muss er noch lernen!«
Der winkt lässig ab: »Ist ja auch egal.
Früher haben uns die Deutschen das Geld aus der Tasche gezogen.
Jetzt sind wir dran und verkaufen unsern Sand, als wäre es
Goldstaub.« Das sagt er ausnahmsweise nicht auf Deutsch.
Unten am Strand sitzt ein Mann bei seinem Boot in
der Sonne und entwirrt das Netz, das seit Monaten im Schuppen lag.
»Ach, nur kleine Fische!«, sagt er. »Die großen
Fische haben zwei Beine!«
Und während erste Liegestühle aufgeklappt
werden, Kinder ihre Mutter mit einer gestrandeten Schildkrötenleiche
entsetzen, der Vater die Schwimmflossen und die Mutter den neuen
Badeanzug probiert, spannt sich über die Szene ein unschuldiger,
grenzenloser und friedlich stimmender Ägäishimmel.
Information
Anreise:
Mit den üblichen Chartergesellschaften. Zudem mit Olympic Airways
täglich von Thessaloniki und Athen (ein Weg rund 110 Mark).
Fähren ab Athen, Patras, Igomenitsa oder Autofähren von
Brindisi und Arkona.
Unterkunft:
Kerkira-Stadt, zahlreiche Hotels aller Preisklassen von 60 bis 180
Mark/DZ).
Preiswert und gut: das Konstantinoupolis aus dem Jahr 1878 mit 31
Zimmern und Hafenblick, in der Vorsaison DZ mit Frühstück
90 Mark, Tel. 0030-661/487 16-7.
In Perivoli und im benachbarten Marthias zum Beispiel Spiros Miaris
(Santa Barbara), Tel. 0030-662/ 222 00, rund 50 Mark/DZ, und direkt
am Strand.
Tasias Rooms, 0030-662/235 79.
Für Kinder:
Superstrände, klares Wasser, kinderliebe Griechen, top!
Auskunft:
Touristeninformation Korfu: Tel. 0030-661/376 38. Griechische Zentrale
für Fremdenverkehr, Neue Mainzer Straße 22, 60311 Frankfurt
am Main, Tel. 069/23 55 61-63, Fax 23 65 76.
Die Zeit - 2000
© Hans W. Korfmann
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