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Oase in der Mitte der Welt

Die Expo kommt nach Saragossa. Aragoniens Hauptstadt rühmt sich ihrer zentralen Lage und der Baukunst aus zwei Jahrtausenden

Von Hans W. Korfmann

Es gibt keine weißen Flecken mehr auf der Landkarte der Iberischen Halbinsel. Nur weit vom Meer entfernt, im Nordosten Spaniens, gibt es noch einige hellgraue, ockerfarbene Landstriche, die bloß von wenigen zarten Linien einer Eisenbahn, einer Autostraße oder der dünnen Spur eines Flusses durchkreuzt werden. Schon ein flüchtiger Blick auf die Landkarte Aragoniens vermittelt den Eindruck öder und menschenleerer Ebenen, deren lehmiger Boden im Sommer, jeglichen Schutzes durch Vegetation beraubt, nackt unter der Sonne liegt.

Noch verzeichnet die Karte dieser Landschaft einige Dörfer, doch scheint es, als würden jetzt auch die letzten Siedlungen, die Jahrhunderte im Schutz und Schatten eines Hügels ausdauerten und deren Gärten und Felder wie kleine grüne Inseln in der Weite des ehemaligen Königreiches liegen, allmählich verlassen. Zwar leben in Spaniens viertgrößter Region über eine Million Menschen, doch wohnt jeder zweite davon in einer Stadt am Ufer des Ebros: in Saragossa.

Saragossa ist über 2000 Jahre alt und wächst noch immer. Im vergangenen Jahrhundert hat sich die Einwohnerzahl der Stadt versechsfacht. Wohnungen sind so begehrt, dass selbst im wenig attraktiven Neubaugürtel Pappkartons mit einer Telefonnummer, aufgehängt an einem Balkon im sechsten Stock zwischen Satellitenschüsseln und Wäscheständern, ausreichen, um einen Nachmieter zu finden. 30000 Appartements hat man im vergangenen Jahr fertiggestellt, doch das Bauen nimmt kein Ende: Im Sommer gastiert die Weltausstellung in Saragossa, und deshalb entsteht in einer der vielen Windungen des Ebros, der sich unter fünf Brücken durch die Stadt schlängelt, ein komplett neuer Stadtteil: das »Expo Dorf« mit 15 Hotels und 700 neuen Wohnungen für 6 Millionen erwartete Gäste. Und danach für all jene, die sich nach einem Leben am Fluss sehnen.

Am Ufer des Ebro entsteht eine Seelandschaft mit Wildwasserkanal

So wie in den wüsten Weiten Aragoniens dreht sich auch auf der Expo in Saragossa alles ums Wasser. Das höchste Gebäude des neuen Viertels und das Wahrzeichen der Ausstellung ist der Wasserturm. Mit 73 Metern ist er so hoch wie die berühmte Basílica del Pilar, deren Silhouette mit ihren mosaikbesetzten Kuppeln und Türmen seit Jahrhunderten schon aus der Ferne das Stadtbild bestimmt und die mit ihren Fresken von Goya und Antonio González Velázquez 8 Millionen Besucher jährlich ins gigantische Kirchenschiff lockt. Die sogenannte Brücke des Dritten Jahrtausends und eine 2,5 Kilometer lange Seilbahn werden die alte Stadt mit dem neuen Stadtteil auf dem Werder verbinden, wo acht große Ausstellungspavillons hingestellt wurden. Im Mittelpunkt des Areals befindet sich das Aquarium mit den Darstellungen der größten Wasser- und Flusslandschaften dieser Erde, während am Ufer des Ebros eine riesige Parkanlage mit Gärten, künstlichen Seelandschaften, einem Aquädukt, einem Wildwasserkanal und Wasserspielplätzen entsteht: der Metropolitan Waterpark. Die mahnende Ausstellung wird eines Tages vergessen sein, doch die sorglosen Wasserspiele am Ebro sollen auch danach noch für Unterhaltung in der Stadt sorgen.

Die Brücke des Dritten Jahrtausends ist mehr als nur eine Verbindung zur Neustadt. Sie ist der Anschluss Saragossas an die Zukunft. Seit von der Expo die Rede ist, sind neue Straßen entstanden, der Flughafen wurde ausgebaut, und der Bahnhof mit seinem tropischen Palmengarten und den vor sich hindösenden Wasserschildkröten im Innern des alten Gebäudes ist ohnehin ein gerade frisch poliertes Schmuckstück. Jetzt sollen die 600000 Einwohner sogar eine U-Bahn bekommen. Im Sommer wird sich die Stadt in eine einzige Bühne verwandeln, 3400 Aufführungen sind geplant – in knapp 3 Monaten. Der Cirque de Soleil schlägt seine Zelte am Ufer des Flusses auf.

Noch nie wird so viel Leben gewesen sein in der Geschichte der Stadt, die im Jahre 14 vor Christus noch Caesaraugusta hieß – benannt nach dem berühmtesten Kaiser aller Zeiten, gelegen an jener flachen Furt, die von den römischen Eroberern auf ihrem Weg nach Westen genutzt wurde. Caesaraugusta war schon bald der Mittelpunkt der iberisch-römischen Welt, auf den historischen Karten und Tafeln im Museum verweisen dicke Pfeile aus allen Himmelsrichtungen und Ländern auf diese Stadt. Kein Weg, kein Handel führte an ihr vorbei. Auch die archäologischen Ausgrabungen eines Marktes aus der Zeit des Kaisers Augustus bezeugen den Reichtum der alten Siedlung.

Ein weiterer eindrucksvoller Beweis für die vergangene Blütezeit ist das römische Theater von Saragossa, wo schon kurz nach der Gründung der Stadt die ersten Vorstellungen stattfanden. Ein Zufall brachte das Theater ans Licht der Neuzeit. Man wollte das Haus des Kaufmanns Gabriel Zaporta wieder aufbauen, dessen wertvolle Inneneinrichtung ein pfiffiger Antiquitätenhändler namens Ferdinand Schulz nach einem Brand im Jahre 1902 für 17000 Peseten kaufte, in 131 Kisten verpackte und nach Paris schaffen ließ. Fünfzig Jahre später erstand ein treuer Saragossaner den 80 Tonnen schweren Kunstschatz für 3 Millionen Peseten zurück, um ein Nationaldenkmal daraus zu machen. Doch als man das Fundament für das künftige Bauwerk aushob, stieß man auf ein römisches Theater aus dem 1. Jahrhundert, erbaut aus gewaltigen Steinen und einer Art aragonischem Zement, lange bevor der Baustoff seinen Siegeszug in der Architektur antrat. Mittlerweile ist alles wieder ausgegraben, verloren und etwas weltfremd ruht der steinerne Halbkreis nun unter einem hohen Glasdach zwischen zehnstöckigen Wohnhäusern. Das Haus des Kaufmanns wurde niemals aufgebaut, und der marmorne Patio de la Infanta, der weit gereiste Prunksaal, ziert heute den klimatisierten Vorraum der Ibercaja, einer spanischen Bank. Immer wieder liegen in dieser Stadt Vergangenheit und Zukunft nah beieinander, ist der Bogen der Zeit weit gespannt.

Auch der Palacio de la Aljafería hat ganze Epochen überlebt. Er ist der aktuelle Sitz des aragonischen Parlaments, eine Burg mit maurischen Grundmauern aus dem 9. Jahrhundert. Islamische, christliche und zuletzt katholische Herrscher hielten im reichlich vergoldeten Thronsaal des Palastes ihre Audienzen ab, stundenlang wandelten die Bürger über die bunten, mosaikartig verlegten Kacheln und Fliesen der lang gestreckten Wartesäle auf und ab. Salas de los Pasos Perdidos – Säle der verlorenen Schritte – nannte sie das Volk, denn viel zu selten führten die vielen Schritte ans Ziel. Heute spazieren Touristen durch die Räume des Palastes, das Parlament hat sich aus den alten Sälen im Inneren in die Räume am Rand des Gebäudes zurückgezogen.

Alle Saragossaner sind stolz auf die Historie. Auch der amtierende Bürgermeister zitiert sie gern herbei, um die Bedeutung seiner Stadt zu unterstreichen. »Saragossa ist die Mitte von allem«, sagt Juan Alberto Belloch, zentral gelegen und gleichweit entfernt von allen wichtigen Städten dieser Welt: Madrid, Barcelona, Bilbao und Valencia. So eine Stadt muss doch Zukunft haben! Der Bürgermeister denkt an Paris, Rom, Nizza… 12000 Tische hat er vor die Cafés und Restaurants der Stadt stellen lassen. In so einer Stadt muss das Leben pulsieren, so eine Stadt muss aufgeschlossen sein. Und ein bisschen Moderne ist ja auch schon da: Zwölf Säle hat der marmorne Kinopalast in der Hauptstraße, auf der Digitalanzeige blinken die startenden Filme wie auf dem Flughafen die startenden Flieger. Noch immer steht Saragossa in dem Ruf, die Stadt mit den meisten Kinosälen Spaniens zu sein. Filme waren ein geschätztes Mittel gegen die Langeweile in der Einöde, sie brachten Bilder aus aller Welt in die Abgeschiedenheit Aragoniens.

Inzwischen ist aber auch die wirkliche Welt angekommen: Es gibt den Döner Kebab Medusa, Roosters Southern Fried Chicken, und Gyros Griego, der Souvlaki verkauft und fünf Angestellte braucht, um seine Kundschaft zu bedienen. »Wallstreet« heißt die Englischschule in der Straße der Unabhängigkeit, in der man Englisch lernt, um Geld zu verdienen. Nebenan bietet Luxor Immobilien das passende Haus zum passenden Konto. Und hinter dem Friedhof, der einst das Ende der Stadt markierte, hat ein schwedisches Möbelhaus eröffnet, um die neuen Wohnungen in der Stadt auszustatten. Auch Opel und Siemens, Lidl und C&A haben sich in der Nähe niedergelassen. Saragossa ist eine Oase in der Wüste.

In der Mitte der Oase liegt die hundertjährige Markthalle. Das Meer ist weit weg, doch der Fisch von Saragossa ist schillernder und größer als der von Barcelona und Bilbao. Die Milchlämmer, Schinken und Würste, das Gemüse und das Obst aus dem Ebrotal mit seinen vielen Wassergräben beweisen, dass dieses Land nie wirklich arm war. Und auch wenn in den feinen Feinkostgeschäften der kleinen Straßen im Marktviertel mit Schokolade »aus San Sebastian« geprahlt wird und mit Weinen »aus der Rioja«, beginnt man sich allmählich auch in Saragossa auf seine eigenen Traditionen zu besinnen: In strahlend weißem Kittel verkauft der Metzger »Montesa – seit 1896« Rind und Lamm aus den Ebenen Aragoniens.

Juan Alberto Belloch ist sich sicher, dass die Expo zum Wirtschaftswachstum beiträgt, dass in Zukunft mehr Touristen kommen werden und neue Arbeitsplätze entstehen. Im Moment sieht es danach aus. Gleich neben der staubigen Großbaustelle ist – durch einen Zaun von der Außenwelt abgetrennt – ein Containerdorf entstanden für jene, die hier arbeiten. Doch nicht alle, die auf der Suche nach Arbeit in die Stadt kamen, haben Glück. Noch immer stehen in den verwinkelten Gassen der Altstadt Schwarzafrikaner, Tunesier, Marokkaner und verkaufen Feuerzeuge, Spielsachen, billige Textilien. Sie stehen in kleinen Gruppen im rotlichtigen Viertel unter den Balkonen, auf denen blondierte Prostituierte löchrige Socken auf einen krummen Draht hängen, und wo abgerissene Häuser den Blick freigeben auf ärmliche Hinterhofszenerien. An vielen ist der Fortschritt auch diesmal wieder vorübergegangen. So wie an den schiefen Häuschen, die zwischen den gläsernen und zementenen Wänden der neuen Bürogebäude stehen.

In der Confiserie liegen die Bonbons in großen Gläsern

Es gibt aber in Saragossa auch noch das ganz normale Leben mit seinen einfachen Bars und dem Schinken und dem Wein und dem Fußball im Fernsehen. Es gibt die kleinen Schuhgeschäfte in der Nähe der Markthalle, die noch dieselben altmodischen Sandalen wie vor 20 Jahren in der Auslage haben, den Bäcker, der das Brot noch in seinen alten Ofen schiebt, und die Bonbons der Confiserie in den großen Bonbongläsern. Auch der kleine Gemischtwarenladen ist noch der alte mit seinen Espandrillos, Heiligenbildern, Pfannen, Schirmen, Holzlöffeln, Hüten und seiner Enge hinter dem winzigen Tresen, wo seit Jahren zwei Männer stehen und sich über jene Zeiten unterhalten, als das, was sie hier verkauften, noch alles war, was ein Mensch zum Leben brauchte.

Doch allmählich wird auch Saragossa reicher, sauberer, ordentlicher. Eines Tages wird die Markthalle herausgeputzt im Scheinwerferlicht erstrahlen. Vor ihren schmiedeeisernen Toren wird neues Straßenpflaster liegen, und die Wäscheleinen in den Hinterhöfen werden ebenso verschwunden sein wie die Fremden in den Seitenstraßen. Eines Tages wird Saragossa überall so schick und aufgeräumt sein wie schon heute vor der Basílica del Pilar. Sie ist die tragende »Säule« der Stadt. Vor allem seit dem Wunder von Calanda und der spektakulären Heilung des Miguel Pellicer am 29. März 1640. Drei Jahre zuvor hatte er sein Bein unter einem Wagenrad verloren, doch als er sich, von der Mühsal des Laufens auf Krücken ermüdet, bei der heiligen Säule zum Schlafen niederlegte, erwachte er am kommenden Morgen, als hätte ihm nie etwas gefehlt. Nicht einmal eine Narbe war zu sehen an jener Stelle.

Schon zu Beginn der Geschichte von Saragossa erschien dem wandernden Apostel Jakobus die Jungfrau Maria auf jener steinernen Säule, die noch heute im Mittelpunkt der Basilika zu sehen ist. Zuerst wurde sie mit einer kleinen Kapelle umgeben, später stand eine kleine Kirche an der Stelle der Kapelle. Eine Kirche, die mit der Zeit immer größer wurde. Inzwischen, nach bald 300 Jahren Bauzeit, hat sie eine Länge von 127 Metern und eine Breite von 65 Metern erreicht. Inzwischen hat sich eine ganze Stadt um die steinerne Säule und den Plaza del Pilar versammelt. Eine große Stadt, die am 14. Juni 2008 die Welt bei sich empfangen wird. Zur Eröffnung der Expo 2008.

INFORMATION

Anreise: Der Hochgeschwindigkeitszug AVE braucht für die Strecke Madrid–Saragossa eineinhalb Stunden; die Fahrt kostet 80 Euro. Bis zur Expo soll der Hochgeschwindigkeitszug auch zwischen Barcelona und Saragossa verkehren. Das Angebot an Flügen nach Madrid und Barcelona ist groß und günstig. Ryanair fliegt etwa von Frankfurt-Hahn nach Madrid, Iberia direkt nach Saragossa, Spanair über Madrid

Unterkunft: Auf dem Expogelände sind 15 Hotels im Bau. In der Nähe der »Pilar« und im alten Zentrum der Stadt liegen das Inca (Tel. 0034-976/390091, www.hotelinca-avil.com , DZ ab 60 Euro) und das El Principe (Tel. 0034-976/294101, www.hotel-elprincipe.com , DZ ab 56 Euro ), einige Querstraßen weiter das Meliá Zaragoza (Tel. 0034-976/430100, www.solmelia.com , Zimmer ab 100 Euro)

Restaurants: Die Tourismusbehörde bietet in ihren Büros einen Restaurantführer in Deutsch an. Ein viel gelobtes Restaurant, das nicht im Katalog steht, ist das La Bastilla in der Calle Coso 177. Ebenfalls nicht verzeichnet ist die Tapas Bar Papa Mar bei der Plaza St. Marta in der Calle de los Estébanes 9, deren Fischbällchen aus Tintenfisch und Garnelen sich großer Beliebtheit erfreuen. Während der Expo wetteifern internationale Spitzenköche – passend zum Thema – um die einfallsreichsten Kreationen mit Wasser

Freizeit: Museumseintritte und Führungen sowie die Nutzung der Verkehrsmittel sind für Besitzer der Zaragoza-Card frei (14 Euro am Tag, erhältlich zum Beispiel im Touristenbüro an der Plaza del Pilar, Tel. 0034-976/201200, www.zaragozacard.com )

Expo: Vom 14. Juni bis zum 14. September. Geöffnet von 10 bis 22 Uhr. Eintritt: Tageskarte 35 Euro, Dreitageskarte 70 Euro, Dauerkarte 210 Euro, www.expozaragoza2008.es , www.weltausstellung.com

Auskunft: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Tel. 069/725038, www.tourspain.es

Die Zeit - Nr.03/10.01.2008
© Hans W. Korfmann

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