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Schnee am Monte Klamotte

Der Teufelsberg. Gerade mal 50 Jahre alt, mickrige 115 Meter hoch und im Grunde nur Schutt. Doch die Berliner lieben ihren Wintersportort am Stadtrand. Die Geschichte eines Hügels
Von Hans W. Korfmann

foto: © Michael Hughes

Es ist ein langer Zug. Die Männer, eingehüllt in Anoraks und dicke Jacken, die Ohrenschützer der Fellmützen heruntergeklappt, haben flache Schlitten geschultert, Snowboards unter dem Arm. Die Frauen ziehen ihre Kinder, eingewickelt, als ginge es nach Sibirien, auf Plastiktellern durch den Schnee. Langsam kriechen dampfende Autos die verschneite Straße entlang.
Elf Uhr morgens, Sonntag, der Schnee ist wenige Stunden alt. Zu Tausenden haben sie sich am Fuße des Bergs versammelt. Nur Kitzbühel ist schöner an solchen Wochenenden. Die Parkplätze an der Teufelsseestraße sind überfüllt, eine Menschentraube hängt vor dem VW-Bus, wo es Glühwein und Bratwürste gibt. Oben weht scharf der Wind. Er hat Hunderte Kilometer Anlauf genommen. Kein anderer Berg reicht so weit in den Himmel wie der Gipfel des Monte Klamotte, die höchste Spitze einer winzigen Hügellandschaft am Rand der großen Stadt.

800 Lastwagen voll Trümmer

Der »Skihang«, auf dem »Rodeln verboten« ist, wird von den Kufen der Schlitten allmählich zu blankem Eis poliert. Snowboarder kurven am Rand entlang, Mountainbiker zurren den Helm fest und balancieren ihre Räder bis ins Ziel, wo Schaulustige die Stürze verfolgen. Nur die Langläufer ziehen meditativ ihre Loipe entlang, ohne dem Rummel einen Blick zu schenken. Ein winterliches Idyll in Berlin. Ein Ort für Wintersport.

Genau den hatten die Stadtväter auch geplant, als sie nach dem Krieg damit begannen, den Schutt aus der zerstörten Hauptstadt zu schaffen. Die Hälfte davon, Trümmer aus 400 000 zerbombten Häusern, häufte man zum höchsten Berg Berlins an. Den ersten Stein zu diesem Teufelsberg hatte Hitler 1937 noch selbst gelegt: den Grundstein zur »Wehrtechnischen Fakultät« seines »Tausendjährigen Reichs«. 13 Jahre später schütteten Lkw ihre Trümmer in den sinnlosen Rohbau und füllten die Ruine, als wollten sie ein Kapitel deutscher Geschichte zudecken. Heute liegt die geplante Kriegsakademie unter 26 Millionen Kubikmetern Kriegsschutt, begraben in 100 Meter Tiefe.

Der Berg wuchs 22 Jahre. Bis zu 800 Lastwagen fuhren täglich zur Trümmersammelstelle im Grunewald. Goldgräber und Schatzsucher schlugen Basislager auf, ihre kleinen Feuer brannten bis in die Nacht. Sie förderten Ritterkreuze, Ehrenzeichen, Büsten und Bilder des Führers zutage, manchmal Tafelsilber, von einer kompletten Leica-Ausrüstung ging die Sage. Es waren Rentner und Arbeitslose, Kriegsverlierer. Die »Männer streifen zu jeder Tageszeit auf dem Berg umher und suchen nach Eisen und Buntmetallen«, schrieb 1955 die Berliner Morgenpost, rings um den Berg »steigen schwarze Rauchfahnen in den trüben Winterhimmel«. Damals tauften die Berliner den neu geborenen Hügel auf den Namen Monte Klamotte.

Anfang der sechziger Jahre hatte der Nordhang des Teufelsgebirges seine endgültige Gestalt angenommen, man pflanzte Eichen, Erlen, Akazien - fast eine Million Bäume. Der Berliner Hausberg war entstanden, ein Stück Natur mit Wanderwegen und Rastplätzen, und schon träumte der Städter von einem Wintersportzentrum mit einer Seilbahn, die von der Talstation zum Gipfel führen sollte, von einem Restaurant mit großartiger Aussichtsterrasse. Man legte zwei Sprungschanzen an, zwei Rodelbahnen und einen Skihang. Der Berg über der Ruine begann zu leben und wurde zu einem der beliebtesten Ausflugsziele der Berliner. Als dann sogar ein Skilift in Betrieb genommen wurde und Schneekanonen den unwilligen Wettergott überlisteten, war Preußen den Alpen näher als je zuvor. Regelmäßige Skikurse fanden statt, die Berliner Verkehrsbetriebe setzten einen Sonderbus ein.

Die Wasserleitungen für die Schneekanonen liegen noch, doch Schnee produzieren sie schon lange keinen mehr. Immer wieder schmolzen die Pläne vom Wintersportzentrum dahin. Kaum hatte man 1963 das Modell der Gipfelstation mit Restaurant und Aussichtsturm der Öffentlichkeit präsentiert, meldeten sich die Alliierten zu Wort. Die Welt am Sonntag schrieb, dass sich bereits ein Dauermieter für den Berliner Gipfel gefunden habe: Die Amerikaner wollten »hier eine Telefonzentrale einrichten«.

Innerhalb kurzer Zeit schossen auf dem Gipfel fünf gigantische Boviste aus dem Boden - eine der modernsten und teuersten Abhöranlagen der Welt. Die weißen Kugeln wurden zum Wahrzeichen des Trümmerbergs. Der viele Trubel gleich neben der Spionagestation allerdings beunruhigte die Amerikaner, und 1972, als die Laster gerade ihre letzten Ladungen abkippten, um die künstliche Gipfelwelt des Teufelsgebirges zu vollenden, mussten die Berliner Wintersportler sogar den Betrieb des nahe gelegenen Skilifts einstellen.

Mit ihren Antennen lauschten die Amerikaner bis in die Sowjetunion hinein. Kein Telefongespräch in Mitteleuropa war vor dem Lauschangriff sicher, erst recht keines in der Stadt der Spione. Die Feldstation am Teufelsberg wurde zur Sperrzone, ein fünffacher Armeezaun, Wachposten und Sicherheitsschleusen verwehrten nun den Berlinern ihren Gipfelsturm. Unmissverständlich warnten Schilder vor unbefugtem Zutritt, und die Ausflügler hatten ihre Kameras wieder einzupacken, sonst drohte ihnen eine Bestrafung nach den »Gesetzen der USA oder der BRD«. Die Berliner mussten sich mit dem wenige Meter niedrigeren Nachbargipfel des Teufelsbergs begnügen.

Weltcuprennen im Dauerregen

Dennoch erlebte der Teufelsberg am 28. Dezember 1986 seinen alpinen Höhepunkt, als 15 000 Zuschauer die 400 Meter lange Piste säumten, um den ersten Weltcupslalom auf der mit Kunstschnee präparierten Piste zu erleben. Im Berliner Dauerregen gewann ein Österreicher, Leonhard Stock, den Parallelslalom, während die Siegeshoffnung der Deutschen, Markus Wasmeier, ausgeschieden kommentierte: »Super organisiert, tolle Resonanz!« So tief unten war wohl noch nie ein Sieger eines Weltcuprennens angelangt, das Stockerl nur wenige Meter über null. Doch so stürmisch wie auf der viel bejubelten »Berliner Streif« wurde selten ein Sieger gefeiert.

Der 28. Dezember war auch ein Höhepunkt im Leben des Hubertus Müller. Seit über 30 Jahren kämpft das ehemalige Vorstandsmitglied des Berliner Skiverbands für die sachgerechte Nutzung des 115 Meter hohen Gipfels. Schließlich habe man die »ersten deutschen Skier vor über 100 Jahren in Berlin gebaut«. Und schließlich gebe es 400 000 begeisterte Skifahrer in Berlin.

Doch Leonhard Stock blieb der einzige Sieger vom Schrottberg. Obwohl die Amerikaner nach dem Fall der Mauer ihre 300 Spione vom Teufelsberg abzogen. Es herrschte wieder Funkstille am Gipfel, nur der Wind pfiff durch die offenen Türen und die zerbrochenen Scheiben sein einsames Lied, das beim Berliner Skiverband den alten Traum vom Lift und von den Schneekanonen wieder wachrief. Doch das Pförtnerhäuschen mit den schwarz getönten Scheiben blieb auch weiterhin besetzt und verhindert bis heute den Zutritt.

Denn der Gipfel hat längst einen neuen Eigentümer. Bereits im Dezember 1996 hat das Land ihn verkauft. Zu einem »Skandalpreis« von nur 5,2 Millionen Mark. Die Grünen protestierten, das »Aktionsbündnis Teufelsberg« rief zur Rettung des Trümmerhaufens auf, und die »Schutzgemeinschaft Deutscher Wald« klagte gegen die Bebauung des Landschaftsschutzgebietes. Worauf der Senator für Stadtentwicklung, Peter Strieder, kurzerhand dem Berg seinen staatlichen Landschaftsschutz wieder entzog. Dennoch passierte lange Zeit nichts. Und so war bis September 2000 noch immer keine Spur zu sehen vom »Resort Teufelsberg« mit dem Fünf-Sterne-Hotel nach »All-Suite-Konzeption« und seinen »136 eleganten Suiten«, die der Unternehmer Hartmut Gruhl stolz angekündigt hatte. Von einem Ballsaal, Restaurants, einer Beautyfarm, 100 modernen Lofts und einer Tiefgarage mit 300 Stellplätzen im Kriegsschutt war die Rede.

Inzwischen haben die ersten Stadtvillen Gestalt angenommen. Allerdings hat Gruhl eingesehen, dass Berlin kein Pflaster ist »für Luxus pur«. Die Quadratmeterpreise der Eigenheime haben eine rasante Talfahrt hinter sich. Und für das geplante Luxushotel findet sich kein Betreiber. Jetzt allerdings hofft die Investorengemeinschaft, die Bundesregierung könne den Teufelsberg zum Petersberg machen. Seit die Afghanistankonferenz im fernen Bonn und nicht in der Hauptstadt tagte, träumt Gruhl vom staatseigenen Gästehaus in der ehemaligen amerikanischen Sicherheitszone. Und spricht von Verhandlungen. Doch bislang spricht nur er.

So ranken sich noch immer Gerüchte um den Berliner Berg. Und beim Skiverband gibt man die Hoffnung nicht auf. Zwar stünde es schlecht um eine Renaissance der »Berliner Streif«, die mit 400 Metern Länge und 23 Prozent Gefälle noch immer »weltweit der beste Skihang in einer Großstadt« ist, wenn der Traum vom Gästehaus mit Sicherheitszone Wirklichkeit würde. Aber noch ist alles offen. Die Berliner kennen ihren Berg. Sie wissen: Er ist unberechenbar. So wie eben jeder richtige Berg.


Anreise:
Der Monte Klamotte ist mit den Bussen 146 und 216 sowie mit der S-Bahn 5 und 75 (Station Heerstraße) zu erreichen

Die Zeit - 2002
© Hans W. Korfmann

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