..und der Haifisch, der hat Zähne
Am Montag kam das Ende für das "linke Wohnprojekt" in der Berliner Yorckstraße 59 - die Polizei räumte das Haus "Miethaie zu Fischstäbchen" steht im Hof des Hinterhauses - geholfen hat es nichts. 60 Mieter lebten in der alten Fabrik in Berlin, bis ein Immobilienhändler das Haus kaufte, um Geld heraus zu schlagen. Er hat die Mieten erhöht, Vermittlungs- versuche von Bürgermeistern, Senat und Abgeordneten zurückgewiesen und schließlich hat er räumen lassen.
Von Hans W. Korfmann
Schon am Sonntagabend kreiste der Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes über dem Objekt der Begierde, bereits in der Nacht standen Polizeiwagen bereit, um das Viertel um die Yorckstraße 59 abzuriegeln. Alle rechneten mit einer Überraschungsaktion noch in der Nacht.
Doch sie startete wie angekündigt pünktlich um 5 Uhr morgens. Per Mikrofon, "Zweite Durchsage 04/27" wurde die Bevölkerung aufgefordert, die Straße zu verlassen, da die öffentliche Ordnung gefährdet sei und notfalls "mit körperlicher Gewalt" vorgegangen werden müsse. Grund für die dringliche Mahnung waren 150 Menschen, die mit einer Sitzblockade vor dem "linken Wohnprojekt" gegen die bevorstehende Räumung protestierten. Und weitere 120, die man im Gebäude selbst vermutete. Inzwischen waren 500 Polizisten im Einsatz, die Silhouetten der Mitglieder eines schwarz vermummten und schwer bewaffneten Sondereinsatzkommandos auf dem Dach des Hauses erinnerten an die Zeiten des Deutschen Herbst. Der Aufwand war gewaltig.
"Das ist aber keine Polizeiaktion", sagte Herr Wolfgang Dietz, Pressesprecher der Polizei, "wir sind im Auftrag des Obergerichtsvollziehers hier. Wir haben lediglich die Aufgabe, ihm Zugang zum Gebäude zu verschaffen." - "Na, der wird doch nicht morgens um fünf zu arbeiten anfangen!", meinte der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, der mit dem Fahrrad gekommen war, um nach dem Unrechten zu sehen. Er hatte sich für den Erhalt dieses Wohnprojektes eingesetzt. Eines Hauses, das seit siebzehn Jahren von sich Reden machte, und das sich gegen Immobilienmakler zu Wehren verstand.
"Miethaie zu Fischstäbchen" - so steht es schon im Hof des Hinterhauses in der Yorckstraße Nummer 59. Der Hai kommt aus Hamburg, von der Waterkant. Ein Immobilienhändler, der auch in den Berliner Gewässern bereits Erfahrung gesammelt und Erfolg gehabt haben soll: Zumindest ein Filetstück in der Friedrichstraße hat Marc Walter bereits aus den Hauptstadtgewässern gefischt, renoviert und Gewinn bringend wieder veräußert.
Auch die vom Insolvenzverwalter zum Verkauf angebotene Yorckstraße 59 schien ihm vielversprechend. In der Hoffnung, das Problem mit den Mietern schnell lösen zu können, ersteigerte er die Immobilie. Die Mieter zahlten weiterhin brav ihre 200 Euro pro Kopf und Monat, doch die 60 Bewohner der acht Wohngemeinschaften im alten Fabrikgebäude beflügelte auch noch der Geist der Berliner Hausbesetzerszene. Und als der Hamburger Hai 300 Euro forderte, zeigten ihm die Mieter ihre Zähne.
"Freiräume werden nicht erbettelt, sondern erkämpft!" - "Das Projekt wird das Haus nicht freiwillig und kampflos verlassen!" - "Häuser denen, die drin wohnen" lauteten die Kampfansagen. Im Gegenzug ließ Walter Strom und Wasser abdrehen, und in der Weihnachtsnacht, als auch die Alternativen zu Verwandten fuhren, schickte er eine Maurerkolonne, die über Nacht die Wohnungstüren zumauert.
Die Politik versuchte zu vermitteln, doch der Hai ließ eine Bezirksbürgermeisterin ebenso abblitzen wie Ströbele. Sogar der Berliner Innensenator Körting, der adäquate Immobilien aus dem Berliner Liegenschaftsfonds zum Ersatz anbot, biss sich am Hai die Zähne aus. Die Bewohner mobilisierten indessen, gaben Pressekonferenzen, betrieben Öffentlichkeitsarbeit. Sie fuhren mit Eiern bewaffnet nach Hamburg und marschierten mit Transparenten vor dem Haus des Besitzers auf. Sämtliche Berliner Zeitungen haben über das "Linke Wohnprojekt" bereits berichtet, über die politischen Organisationen, die hier ihren Sitz hatten, über "ARI", die Antirassistische-Initiative, oder über das "Anti-Hartz-Bündnis".
"Vor Gericht haben wir trotzdem verloren", sagt Julia. "Wir haben vier Tage darüber diskutiert, ob wir in die zweite Instanz gehen. Wir brauchen immer solange auf unseren Plena, es gibt keinen Mehrheitsbeschluss, wir suchen den Konsens. Am Ende haben wir entschieden, auf den Widerspruch zu verzichten. Wir müssten einfach irrsinnig viele Solipartys veranstalten, um das zu finanzieren". 15 000 Euro hat der erste Gang zum Landgericht gekostet. Rausgeworfenes Geld: Seit Dezember 2004 hat Walter es schriftlich. Er kann das Haus räumen lassen. Und sei es von der Polizei.
Julia ist eine von 60 Bewohnern der acht Wohngemeinschaften, sie schaukelt das Baby von Maja auf den Knien. Die Gemeinschaft in der Yorck 59 funktioniert, die Probleme der WGs aus den 70ern haben die 2000er nicht mehr. "Es gibt ja jetzt Geschirrspüler, und die Palästinafrage ist bei uns kein Thema mehr." Es ist familiärer geworden. In der Yorckstraße wohnten acht Kinder. Es gab Berufstätige, Selbständige, Künstler, Arbeitslose, Studenten. Sie kommen aus Deutschland, Belgien, Afrika, Frankreich, Spanien, der Ukraine oder Südamerika. Eigentlich ist es "wie draußen auch." Außer einem Haus in der Brunnenstraße gibt es in ganz Berlin kein ähnlich engagiertes Hausprojekt mehr. In der Yorckstraße lebten, so der Abgeordnete Ströbele, "keine Chaoten. Dort wird anerkannte Arbeit geleistet."
Sie organisierten politische Veranstaltungen, öffneten Montags ihre "Druzbar" mit billigem Essen für jeden, der kam. "Einmal in der Woche fand ein Delegiertenplenum statt, mit einem Vertreter aus jeder WG. Außerdem gab es noch das Hausplenum, da kamen zwanzig Leute aus dem ganzen Haus. Das dauerte immer bis in die Nacht. Da reden wir über alles. Nur in letzter Zeit redeten wir nur noch über eins. Es gibt Leute hier, die leben schon seit Monaten nur noch für den Hauskampf."
Sogar den Kauf des öffentlich ausgeschriebenen Hauses hatten sie in Erwägung gezogen und eine Million Euro für die Nummer 59 geboten. Doch die Bank hatte dann ihre Geschäfte doch lieber mit einem Mann aus Hamburg gemacht. Mit einem ihresgleichen. Als der frisch gebackene Hausbesitzer seine Immobilie einige Zeit später seinen Mietern zum Kauf anbot - für etwa das Doppelte des Einkaufspreises - da mussten die von der Yorckstraße passen. Und auch die Hoffnung, eines der Ersatzobjekte aus dem Liegenschaftsfonds kaufen zu können, die man nicht nur dem Immobilienhändler, sondern auch den Bewohnern offerieren wollte, zerschlug sich. Viel zu spät seien konkrete Angebote gemacht worden, binnen vier Tagen hätte man sich entscheiden müssen. "Und so ein Haus kauft man ja nicht wie ein belegtes Brötchen!", sagt die Frau vom Zeitungsladen an der Ecke. Sogar für Senator Körting, den Zweckoptimisten, war irgendwann "nicht mehr erkennbar, dass Mieter und Vermieter zu einer einvernehmlichen Lösung kommen". Seine letzte Hoffnung war ein "friedlicher Auszug der Bewohner". Doch die dachten nicht daran. Im Gegenteil: "Das Projekt wird das Haus nicht freiwillig und kampflos verlassen. Eine Räumung würde eine Eskalation des Konfliktes nach sich ziehen." Verkündeten sie bereits vor Monaten.
Nun sind sie da, fünfhundert behelmte Polizisten, vermummte Sondereinheiten, die Schar Journalisten, die jeden Demonstranten, jeden harten Griff der Ordnungshüter, und immer wieder die friedlich vor der Tür sitzenden Demonstranten fotografieren. "Zwei Verletzte", bilanzierte der Pressesprecher nach einer halben Stunde, "Das geht ja heute viel ruhiger ab als früher zur Hausbesetzerzeit. Das sind ja auch keine Kriminellen mehr! Da gehen wir auch dementsprechend vor..." - "Die sind einfach nicht totzukriegen!", fluchte einer der Polizisten, der einen der Hausbewohner abführte. "Gesocks!", meinte ein Kollege. "Es ist doch immer wieder schön mit diesen Chaoten!", grinste ein anderer.
Die Chaoten allerdings verhielten sich nicht chaotisch, sondern äußerst umsichtig. Keiner der 120 Menschen, die sich in der zweiten Etage verbarrikadiert hatten, hatte sich gewehrt. Widerstandslos ließen sie sich abführen. Wieder einmal werden sie eine ganze Nacht gesessen und diskutiert und beraten haben. Und sie kamen zu dem Schluss, keinen Widerstand zu leisten. "Es war eine äußerst friedliche Aktion", spricht am Ende der Polizeisprecher. Es klingt, als sei das ein Verdienst der Polizei gewesen.
Frankfurter Rundschau - 2005
© Hans W. Korfmann
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