Der Grill, der Müll und der Park
Stadtleben im Sommer am Beispiel Berlins: Die einen ballen sich in den Anlagen um den Bratrost, die anderen wollen ihre Ruhe
Von Hans W. Korfmann
Der Wasserfall rauscht, vor dem Tiergehege betrachten Mütter und Kinder den restlichen Viehbestand, Bälle fliegen durch die Lüfte, Gitarren erklingen. Eine Idylle im Kreuzberger Viktoriapark, die den Sender Freies Berlin zu einem kurzen Beitrag inspirierte, und angetan von so viel urbanem Leben sprach die Redakteurin voller Entzücken: "Ja, und da wird auch schon wieder der erste Grill angezündet . . ."
Was da erst zaghaft und schamrosig zu glühen begann, hatte Heinz Gebhardt (Name geändert) bereits zur Weißglut gebracht. Er griff empört zum Hörer, ließ sich zur Redaktion durchstellen und gab nicht eher auf, bis man ihm versicherte, dass die Autorin sich bei ihm melden würde. Aber "es kam natürlich nichts". So ging es ihm öfter. Egal, an wen er sich mit seiner Beschwerde über das "Grillunwesen" im Park vor seiner Haustür wendete, an die Bezirksverordnetenversammlung, an den Berliner Mieterverein, an das Grünflächenamt Kreuzberg, an das Landesdenkmalamt oder an die Redaktionen verschiedener Zeitungen: Alle hörten sich sein Klagelied eine Weile an, sie lasen die vielen Seiten seiner Beschwerdebriefe und zeigten stets viel Verständnis für den Unmut des Mitbürgers, doch Antworten auf seine dringende Bitte, die Rauchschwaden im Park zu ersticken, blieben erst einmal aus.
Im Gegenteil: Seit Anfang Mai wiesen plötzlich sogar einige Tafeln am Wegesrand einen Teil des Viktoriaparks ganz offiziell als "Grillplatz" aus. Herr Gebhardt traute seinen Augen nicht und erkundigte sich bei der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), was es mit "diesem Humbug" auf sich habe. Ob man tatsächlich glaube, dass die mit vollbeladenen Pkws anreisenden Grillfreunde ihre Siebzigsachen wieder zusammenpacken und weiterziehen würden, wenn der Grillplatz überfüllt sei. Ein BVV-Sprecher musste Herrn Gebhardt bestätigen: Laut Beschluss vom Frühjahr 2003 wird im Viktoriapark ein so genannter Modellversuch durchgeführt. Der öffentliche Grillplatz sei eingerichtet worden, um der steigenden Nachfrage in der Bevölkerung nach dem duftenden Fleisch über der Feuerstelle nachzukommen. Ende des Sommers soll darüber befunden werden, ob das Grillen im Park erlaubt bleibe.
Herr Gebhardt wollte nun der "Minderheit der Freunde karzinogener Bruzzelschwaden" den Kampf ansagen und "deutlich sichtbare (und lesbare) Verbote auf Deutsch und Türkisch – notfalls mit Konsequenzen". Er zählte die einzelnen Feuer am Abend, fotografierte den Müll neben den Papierkörben, bis nachts um drei Uhr lag er auf der Lauer, und er stieg eigenfüßig die Treppen seines Hauses in der Kreuzbergstraße hinunter und bat seine Mitbürger "höflich" darum, das Grillen einzustellen. Als er nur patzige Antworten bekam, rief er die Polizei auf den Plan. Die verhielt sich äußerst zurückhaltend.
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Ich dachte, die Volksvertreter sind dem Wohl aller Bürger verpflichtet und hätten es nicht nötig, einer Minderheit rücksichtsloser Zeitgenossen zu gefallen", schrieb Gebhardt in einem seiner Beschwerdebriefe. Hätte er diesen Brief an Michael Wegner von der CDU geschickt, dann hätte er vielleicht eine Antwort bekommen. Denn ganz allein stand Herr Gebhardt nicht auf der schmalen und umstrittenen Flur, auch die Herren von der CDU vergriffen sich gern einmal im Ton, zum Beispiel Herr Wegner: "Es geht mir darum, eine Minderheit von Dreckschweinen zu disziplinieren." Der Lokalpolitiker meinte die Müllberge, die in den Parkanlagen nach sonnigen Wochenenden zurückblieben. Er denkt an Geldbußen wie in der blitzblanken Metropole Singapur: 200 Euro der Kaugummi auf der Straße, 300 Euro die Zigarettenkippe. Auch im Central Park in New York kostet die Umgestaltung des öffentlichen Naherholungsgebietes zur Mülldeponie den sündigen Bürger zwischen 50 und 250 Dollar.
Doch wer sollte ein Auge auf die Sünder werfen, bei einer von Gebhardt beschriebenen Sichtweite von nur noch wenigen Metern? Und vor allem: Wer sollte die Parkwächter bezahlen? 70 ABM-Kräfte, bezahlt von Bund und Land, waren täglich unterwegs, um Parkanlagen vom Schmutz zu befreien. An den Wochenenden allerdings möchten auch die Müllsammler offensichtlich lieber irgendwo picknicken als Müll sammeln. Deshalb denkt Baustadtrat Schulz bereits daran, private Firmen mit der Sauberhaltung der Parkanlagen zu beauftragen. Denn so tolerant der grüne Politiker auch sonst gegenüber seinen ausländischen Mitbürgern ist: "Es wird immer schlimmer." Und der Druck seitens der Anrainer wurde immer größer, die Unterschriftenliste der Kreuzberger gegen die Grillerlaubnis war schon 150 Namen lang. Schulz sah ein: "Wir müssen etwas tun, sonst haben wird bald keine Parks mehr."
Im Herzen Wilmersdorfs haben die Thailänder vorgemacht, wie es geht. Sie hatten sich ausgerechnet den kreisrunden Preußenpark zum Standort eines allwochenendlichen Marktes auserwählt, hunderte grillten, kochten im Wok, tauschten Fisch, Fleisch, Soßen und spielten Karten. Sie hatten sich mit den Müllmännern arrangiert, die jeden Montag, gegen ein kleines Bakschisch selbstverständlich, die gut verschnürten Müllsäcke einsammelten, die die Thailänder am Parkausgang für sie bereitgestellt hatten. Während des Wochenendes ging eine Frau mit einem Rechen im Zehn- Minuten-Takt zwischen den ausgebreiteten Decken umher und entfernte jedes Papierschnipselchen, jeden Zigarettenstummel vom Rasen, sogar die öffentliche Toilette hielt sie sauber. Gegen Abend entrichtete jeder Marktbesucher seinen Obolus an die Reinigungskraft, später stellte das Grünflächenamt den Gästen aus Asien sogar einen Müllcontainer zur Verfügung. Und am Ende des Sommers streuten die Thailänder sogar Grassamen in die kahlen Stellen der Grünanlage.
Vier Jahre lang trafen sie sich, schienen niemanden zu stören, und niemand störte sie. Doch heimlich wuchs der Widerstand unter den Deutschen, der Preußenpark sollte ein deutscher Park bleiben, und weil man keine konkrete Handhabe gegen die asiatischen Saubermänner hatte, suchte man verzweifelt nach anderen Argumenten. Und fand eines. Plötzlich wiesen vier Schilder in englischer, thailändischer und deutscher Sprache darauf hin, dass die öffentliche Grünanlage nur "so genutzt werden darf, wie es ihrer Zweckbestimmung entspricht". Ein asiatischer Marktplatz aber, das war der Sinn einer deutschen Grünanlage nicht. Doch trotz wachsenden Widerstandes: Die Thailänder blieben und sind noch heute im Park.
Auch den Gegnern der Grillgemeinde im Viktoriapark ging es, überhört man die feinen Untertöne nicht, darum, den deutschen Parkboden zu verteidigen. Die samstägliche Ausbreitung der ausländischen Großfamilien auf ihrer denkmalgeschützten Grünanlage war ihnen nicht nur ein Dorn im Auge, sondern ein quälender Pfahl im Fleisch. Herrn Gebhardt stand, wenn er die ausländischen Mitbürger über deutsche Sitten und Gebräuche in öffentlichen Parkanlagen aufklärte und zwar äußerst "höflich", der kollektive deutsche Ärger ins Gesicht geschrieben. Deshalb war es nicht verwunderlich, wenn dann "zwei junge Türkinnen – mit Kopftuch – eindeutig aus dem Kreis einer im Park grillenden Großfamilie" den deutschen Ordnungshüter anblafften: "Du alter Penner, was geht dich das an!"
Vielleicht war es der Anblick dieser vielzitierten Großfamilien, an dem sich der einsame Bürger auf Balkon und Parkweg störte. Er hat sie schließlich nie gesehen, in ihren Dreizimmerwohnungen, zusammengepfercht, sieben, acht Menschen, er bekam sie stets nur einzeln zu Gesicht. Jetzt, auf der Wiese, wenn sie alle im Kreis um die Teller auf ihrer Decke saßen, Berge von Fleisch in der Mitte, wurde ihre personelle Übermacht augenscheinlich. Selbst die intakte deutsche Kleinfamilie mit ihren zwei Kindern an der Hand sah neben diesen Manifestationen der Fruchtbarkeit traurig und klein aus.
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Was wollen die eigentlich?" fragte ein junger Familienvater. "Wenn die aus dem Urlaub, aus der Türkei oder Griechenland kommen, dann erzählen sie alle, wie es ihnen geschmeckt hat, und dass es überall so gut nach gegrilltem Fleisch duftet. Und hier können sie es nicht mehr riechen! Da stimmt doch was nicht." Der Mann bringt es auf den Punkt. "Es geht nicht um den Rauch, es geht nicht einmal um den Müll. Es geht um uns!"
Die Feinde der Griller indes winken ab. Blödsinn. Es ging um den Müll, um den Gestank, den Lärm, die Blumenbeete, die Ratten, die "inzwischen so groß wie Katzen" geworden seien. Und es gab ja schließlich auch einige Deutsche unter den Grillfreunden, eine Minderheit, zugegeben.
Herr Gebhardt ist mit seiner Toleranz längst am Ende. Er wird seinen Kampf weiterkämpfen. Auch jetzt noch, wo er längst als Sieger hervorgegangen ist. Noch im Juni, und nur wenige Wochen, nachdem die Schilder des Anstoßes aufgestellt worden waren, verschwanden sie auch schon wieder vom deutschen Parkboden. Die offizielle Erlaubnis zum Grillen wurde zurückgezogen. Und Herr Gebhardt liegt nun wieder mit Recht auf der Lauer. Nächtelang vielleicht, bis auch die letzte Glut im Viktoriapark endgültig erloschen ist.
Frankfurter Rundschau - 2003
© Hans W. Korfmann
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