Westhafen |
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In einer kleinen Kanalbucht mitten im Berliner Stadtteil Wedding ist ein lebendiges Biotop entstanden
Der Pförtner am Westhafen schaut sogar auf seinen sonntäglichen Spaziergängen an seinem Arbeitsplatz vorbei, irgendein Kran dreht sich immer, läßt zerstampfte Trabis in die Schiffsbäuche fallen oder lädt Sand aus Stettin. Auch wenn er Nachtschicht hat und die Lkws längst ausgelaufen ist noch Leben auf dem Hafengelände: Im Sommer ziehen Liebespärchen am Pförtnerhäuschen vorüber und gehen auf den Kaimauern entlang - die sind 300 Meter länger als der Ku’damm! „Dann fühlen sie sich wie in Italien!“, lacht er, „die riechen das Öl und das Brackwasser und glauben, sie sind auf Urlaub. Das ist doch schön!“ Katzen und Ratten geben sich ein Stelldichein. Es ist nicht Hamburg und Schanghai, sagt er, aber es duftet ein wenig danach.
„Kurz nach dem Krieg“ hat er hier angefangen, 60 Prozent des Westhafens waren im „Endkampf“ um Berlin zerstört worden. Er war dabei, beim Wiederaufbau. Und sie bauen noch immer - an Berlin. „Das meiste, was hier ankommt, ist Sand und Zement. Das nimmt kein Ende! Auf den Hafen läßt der Dienstälteste nichts kommen, auch wenn er ihm Rheuma eingebracht hat mit seinem ewigen Nebel und den zugigen Lagerhallen - sein halbes Leben war er hier. Die Beiden verbindet ein gemeinsames Schicksal, und gemeinsam genießen sie die Privilegien des Alters: Ähnlich wie die meisten Gebäude des Westhafens, die unter Denkmalschutz stehen, ist auch er schon zu lang dabei, als daß man ihn einfach entsorgen könnte.
Auch hinter den roten Klinkern der denkmalgeschützten Fassaden herrscht Nostalgie. Im Kasino, der Hafenwirtschaft mit Zimmern im ersten Stock, baumeln Schiffslampen über den leeren Tischen, in den Netzen an den Wänden haben sich Hummer und Muscheln verfangen. Aus den Bullaugen an den holzgetäfelten Wänden blicken treue Seehundaugen und das Fernweh bärtiger Kapitäne, und während im einen Fenster ein hölzerner Delphin durch den verstaubten Rhododhendron taucht, wartet im anderen ein Dreimaster auf seine große Fahrt. Doch auf der Musikbox voller Shantis liegt das Road Journal, und draußen rollen nicht die Wogen des Ozeans heran, sondern die Lkws übers Kopfsteinpflaster.
Auch Ernst F. verfiel dem Duft des Hafens. 1968 stieg er als Bootsmann aufs Schiff, um die Welt zu erorbern. Acht Jahre pendelte er zwischen Hamburg an der Alster und Frankfurt am Main. Tausendfünfhundert Mark monatlich gehörten ihm, und eine eigene Wohnung auf dem Vorderdeck. Damals kosteten die Schrippen fünf Pfennig, Ernst war siebzehn Jahre alt. „Zeiten!“, sagt er und nickt. Dann traf er die Frau seines Lebens und ging am Westhafen für immer an Land. Seit 20 Jahren verdingt er sich als Hafenarbeiter, der Lohn ist kaum gestiegen seitdem. Aber zu Tun gab es damals genug, „täglich kamen diese alten Schiffe, die wir noch mit den Schaufeln auskratzen müßten. Das war noch richtige Arbeit.“ - Alles hier ging durch seine Hände: Kohle und Zement, Getreide und Hülsenfrüchte, Zucker und Reis, Kaffe und Wein... - Hier war mal richtig was los, sagt Ernst, aber jetzt ! Wenn das Geschäft mit Schutt und Baustoffen nicht wäre, könnte man die Becken gleich zuschütten.
Aus Sicht der Hafenarbeiter geht es seit 1989 zügig bergab. Im letzten Lagebericht der Behala heißt es: „Es gelang auch in diesem Jahr wieder, die Personalkosten gegenüber dem Vorjahr zu senken. Der Personalbestand wurde um 48 Mitarbeiter reduziert.“ Etwa dreißig Lagerarbeiter sind es noch, zweihundert waren sie einmal. Da drehten sich die 28 Kräne von morgens bis abends, die Stimmung war gut, und wer damals nicht trinken konnte, der konnte gleich wieder gehen. Heute ist es umgekehrt. „Die schicken einen gleich in die Erziehungsanstalt! Ein Totentanz is das, und ne Stimmung wie auf´m Begräbnis!“
Wenn die Mauer noch stünde, sagt Ernst, dann sähe alles anders aus. Denn mit der Mauer fiel die Berlinreserve weg, und davon lebte der Hafen. Sechs Jahre lagerten Lebensmittelvorräte für den Notfall in den Lagerhallen und Silos des Westhafens, dann wurde der Bestand aufgefrischt. In den Kornkammern Berlins lagerten zur Zeit der Blockade 95000 Tonnen Getreide für die Stadt, Brot für einige Monate Ernstfall, über die Hälfte davon auf dem Gelände des Westhafens.
Seit der Öffnung der Grenzen ist die Senatsreserve für die vom wilden Osten umzingelte Stadt unnötig geworden, die großen Speicher des Westhafens ragen plötzlich bedeutungslos in den Himmel. Den zentralen Getreidespeicher, einst der zweitgrößte Europas, füllen nun die Akten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, an die das zehnstöckige Gebäude vermietet wurde. Zwei erst 1987 fertiggestellte Getreidelagerhallen für weitere 22000 Tonnen Korn waren kaum vier Jahre später ebenso sinnlos wie das gewaltige Silo am Kanal.
So spielte der unvorhersehbare Lauf der Geschichte im Jahre 1989 auch dem Westhafen einen bösen Streich, und die Berliner Hafen und Lagerhausbetriebe (Behala) taten, was jeder tun würde, um das Areal nicht vollkommen ungenutzt zu lassen: Sie vermieteten die meisten der 131000 Quadratmeter. Derzeit bevölkern kleinere Großhändler das Gelände, die mit Kakao, Getränken oder Lebensmitteln handeln, Speditionen, die von LKWs versorgt werden und LKWs beladen, und ebensogut im Spessart liegen könnten wie am Berliner Schiffahrtskanal. |
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fotos: © Michael Hughes |
Aus der jüngsten deutschen Geschichte jedoch zu lernen ist auch für Bundesverkehrsminister Wissmann schwer. Trotz dem raschen Wandel der Zeiten hält er eisern fest am „Projekt 17 Deutsche Einheit“: Die Zufahrtswege nach Berlin und zum Berliner Westhafen müssen ausgebaut werden. 280 Kilometer Wasserstraße von Hannover nach Berlin, so sieht es das 4,7 Millionen Mark teure Projekt vor, sollen zum Highway ausgebaggert und begradigt, die schlammigen Kanäle Berlins sollen vertieft, die Schleusen umgebaut werden. Auch die Hafenbecken müßten tiefer werden, und die Kaimauern verstärkt. Einige der 950 Brücken der Hauptstadt werden angehoben, damit die 110m langen Europaschiffe und bis zu 180m lange Schubverbände bis ins Herz Berlins gelangen.
Die Umbaumaßnahme sei nötig, so Wissmann, von einer optimistischen Prognose aus dem Jahre 1992 unterstützt, weil sich der Gütertransport bis zum Jahr 2010 verdoppele. Und dafür hat er inzwischen handfeste Beweise: 1,7 Millionen Tonnen Sand und Kies brachten im vergangenen Jahr vorwiegend polnische Schiffe zu den deutschen Großbaustellen, noch mehr Schutt transportierten sie wieder ab. Insgesamt sollen 25 Millionen Tonnen Schutt in den kommenden goldenen Jahren anfallen, und 17 Millionen Tonnen Baustoffe über die umstrittenen Wasserstraßen nach Berlin kommen. Der Haufen würde den Teufelsberg, Berlins höchste Erhebung aus Kriegsschrott, um gute fünfzig Meter überragen. Das freilich ist beeindruckend. Bleibt allerdings die Frage: Was kommt nach 2010?
Ernst könnte das eigentlich egal sein, denn dann ist er längst in Pension. Er ärgert sich trotzdem, „schon aus Gewohnheit“. 80% der Güter, sagt er. die derzeit in den Berliner Häfen der Behala verladen werden, sind Bauschutt und Baumaterialien. „Und wenn die fertig sind mit ihrem neuen Regierungsviertel, was sollen die Kräne denn hier noch laden? Akten und Bücher?“
Eine der letzten Stützen des Hafenbetriebes ist der Handel mit dem schwarzen Gold, und noch basiert mehr als ein Drittel des Umsatzes der Behala auf dem Verkauf von Kohle. Aber im Zuge der Sanierung des zukünftigen Kanzlerdomizils ist auch dieser Posten schon jetzt stark rückläufig. Bauen kann man auf dem Kohlegeschäft ebensowenig wie auf den anderen Fakten des Bilanzberichtes der Behala. Bauen kann man nur auf das Projekt 17! Irgendetwas wird schon kommen über die neuen Wasserstraßen, wenn man den Hafen wirklich anschließt ans Europanetz. Außerdem garantiert die Investition von 4,7 Milliarden Mark eine gewisse Unterstützung auch für den Fall, daß die Behala rote Zahlen schreibt. Und schließlich ist da noch Berlins Wirtschaftssenator Pieroth im Vorstand der Behala. Das sind Trümpfe!
„Die Zukunft der Gebäude auf Berlins größtem Anlegeplatz für Binnenschiffer ist jedenfalls gesichert!“, spricht der Pförtner und lobt den Denkmalschutz. Skeptischer blicken die Arbeiter des Westhafens und die Binnenschiffer selbst in das nächste Jahrtausend. Manchmal kann nicht einmal mehr Pfarrer Pfister von der Schiffergemeinde ihnen Mut machen mit seinem stählernen Optimismus. Das Oberhaupt der fahrenden Gemeinde ordiniert gleich neben dem Pförtner. Das gewöhnliche Lächeln des Christen weicht einer ernsten Miene: „Die Männer auf den Schiffen resignieren!“
Und Pfarrer Pfister kennt seine Gemeinde, auch wenn er nicht genau sagen kann, wie groß sie ist. „Sie haben ja keinen festen Wohnsitz, diese Menschen. Meine Gemeinde schwimmt!“, sagt er und öffnet die gefalteten Hände zu gottergebener Geste.
Wenn sie keinen Auftrag haben liegen sie tagelang im Hafen vor Anker, da kommt man ins Plaudern. Es sind freundliche Leute, sie helfen die Kirche zu streichen oder das Gästezimmer zu renovieren. „Eigentlich leben sie wie Zigeuner, alles, was sie besitzen, ist ein Schiff, das sie vom Vater geerbt haben. Gelernt haben sie nichts, und so hoffen sie, daß der Motor durchhält bis zum Ende!“
Manchmal kommen sie mit Problemen ganz praktischer Art zu ihm. So wie im letzten Winter, als sie monatelang im Eis festlagen und kein Wasser mehr hatten auf den Schiffen, um zu kochen oder zu waschen. Die meisten waren zu weit entfernt von den Hydranten der Behala, an denen sie ihre Schläuche hätten anschließen können. Die Hafendirektion fühlte sich nicht verantwortlich, nur der Mann mit Gottes Warmherzigkeit erbarmte sich der durstenden Gemeinde und vermittelte erfolgreich zwischen Schiffern und Behala.
Meistens aber geht es um das Projekt 17. Denn die Schifführer mit ihren kleinen Familienbetrieben kämpfen um die Existenz. Sie fürchten, daß nach dem Ausbau der Wasserstraßen die 200 m langen Schubverbände in ihr Revier eindringen, in dem sie mit ihren wendigen Schiffen noch um jeden Bogen kamen, die Großen aber steckenblieben. Dabei haben es die zweiköpfigen Unternehmen ohnehin schwer, seit die ehemalige Flotte der DDR Binnenschiffer mit ihren hundert Kähnen unter privater Flagge fährt und sich die großen Aufträge von Sony, Daimler & Co an Bord zieht. Die Bauherren scheuten davor zurück, hunderte von einzelnen Verträgen mit den Kleinunternehmern auszuhandeln.
So ist das „Projekt 17 Deutsche Einheit“ zum Streitpunkt geworden und hat bislang mehr entzweit als geeint. Vor allem auf Eberhard Staib, den Abteilungsleiter Schiffahrt bei der Deutschen Binnenreederei, ist man nicht gut zu sprechen. Etwas lapidar antwortete er auf die Bedenken der Binnenschiffer mit der Bemerkung, daß ihre Schiffe bis zur Fertigstellung der neuen Wasserstraßen längst schrottreif seien, und andernfalls hätten sie ja Zeit genug, aufzurüsten.
Auch bei den politischen Parteien fanden die Schiffer wenig Unterstützung, obwohl zumindest die Grünen für viele Probleme der Flußfahrer Verständnis hatten. Doch auch die Umweltschützer und die Kapitäne der Flüsse ziehen längst nicht mehr am selben Strang, seitdem die Naturliebhaber den motorisierten Männern vorwarfen, daß sie die Flüsse verschlammten und zu viel Öl ins Wasser ließen, worauf diese konterten, den einen ginge es eben um krumme Flüsse, und den andern ums nackte Überleben. |
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fotos: © Michael Hughes |
Unerschrocken wirft Pfarrer Pfister sich zwischen die erhärteten Fronten, mit ungebrochenem Optimismus bemüht er sich klarzumachen, daß das Projekt allen zugutekäme, und daß die Zukunft der Welt auf dem Schienenstrang und dem Wasserweg zu erreichen sei, und nicht per Lkw. Der Mann mit der Jeans unter der Kutte ist ein Diplomat, Schlichten und Vermitteln sind seine Passion. Würde es ihm das christliche Mitleid nicht verbieten, könnte er sagen, die Aufgabe mache ihn glücklich. Immer wieder bringt er die Streitenden an einen Tisch und schafft es, Optimismus zu verbreiten. Denn noch fahren sie ja, die Schiffer, und bis die Stadt fertig ist, werden auch die kleinsten von ihnen noch ein paar Schaufeln Sand transportieren können, um ihre Schrippen zu verdienen.
Auch der Pförtner ist halbwegs glücklich in seinem Häuschen im Warmen, der Hafen steht unter Denkmalschutz. Und Ernst winkt ab, er hat ja nur noch ein paar Jahre, die wird er auch noch rumkriegen. Die Meisten denken so wie er. Denn die Meisten sind so alt wie er: Über 40% der Arbeiter sind zwischen 50 und 60 Jahre alt. Neueinstellungen gibt es nicht. „Wer soll sich da schon viel Gedanken machen!“, sagt Ernst.
Am wenigsten freilich sorgt sich die Behala. Sie hat die Schäfchen im Trockenen. Inzwischen macht die Vermietung der entleerten Hallen schon ein Drittel des Umsatzes aus, Tendenz steigend. Auch das erst 1996 für 11,4 Millionen fertiggestellte Bürogebäude auf dem Westhafen ist bereits zu 65% vermietet. Auf das Projekt 17 könnte sie eigentlich verzichten, denn wenn sie nun zum Imobilienhandel übergeht, braucht sie die Hafenbecken nicht. Wasser ist kein besonders rentabler Boden für die Spekulationen der Behala. Eigentlich hat Ernst recht: Am besten, man würde alles gleich zuschütten - Müll dazu gibt es derzeit genug.
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© Hans W. Korfmann
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